Die elfte Geißel
Sie richtig verstehe, vermuten Sie, dass der Keller von Personen benutzt wurde, die die Örtlichkeiten kannten?«, fragte einer der Polizisten. »Aber wenn Judith Fogeti nichts mit der Sache zu tun hat, warum dann ausgerechnet dieser Keller?«
»Man hat Gaspard im Verdacht, das Haus verkauft zu haben, um seine Schulden zu begleichen. Wenn man bedenkt, in welchem Milieu er sich bewegte, hat es zweifellos einer seiner Bekannten gekauft.«
Der Polizist blätterte in einem Strafregisterauszug und hakte nach: »Fogeti wurde Ende 1997 inhaftiert. Nichts sagt uns, dass der Film erst vor Kurzem gedreht wurde. Es ist durchaus möglich, dass er vor seiner Festnahme aufgenommen und erst später digitalisiert wurde. In diesem Fall könnte jeder x-beliebige Kopien davon gemacht und in Umlauf gebracht haben.«
Léopold zögerte. Zu behaupten, dass der Film neueren Datums sei, machte es notwendig, über Julia Verno zu sprechen. Der Staatsanwalt runzelte die Stirn, offensichtlich beeindruckt von der aufgeworfenen Frage. Die Kommissarin kam Léopold zu Hilfe:
»Es spielt keine Rolle, ob der Film schon älter ist oder nicht. Ich bin wie Lieutenant Apolline der Meinung, dass wir diesen Einsatz durchführen sollten. Wenn wir nichts finden, war es eben ein Schlag ins Wasser.«
»Ein recht riskanter Schlag ins Wasser«, schob der Staatsanwalt etwas kleinlaut hinterher.
»Wenn wir hingegen etwas finden, werden Sie die Ermittlungen in einem Fall leiten, der bei Weitem Ihre Erwartungen übertrifft. In der gegenwärtigen Situation kann sich das nur günstig auswirken«, antwortete die Kommissarin in einem schmeichelnden Ton.
»Sie vergessen die Affäre von Jarnages, Frau Kommissarin. Das Image der Polizei ist ziemlich angekratzt, seitdem Gérard Maurois freigesprochen wurde. Wenn sich ein solches Fiasko wiederholt, wird alles noch schlimmer werden.«
Bei diesen Worten lief das Gesicht der Kommissarin, das bis jetzt keinerlei Regung zeigte, rot an. Mit harter Stimme sagte sie:
»Die Ermittlungen in Jarnages wurden ohne meine Zustimmung durchgeführt. Kommissar Kolbe hat in diesem Fall vollkommen eigenmächtig ermittelt, und zwar mit Rückendeckung von höherer Stelle.«
Léo spitzte die Ohren. Maxime hatte bei diesen Ermittlungen niemals von irgendeiner »Rückendeckung von oben« gesprochen, und die Frage war im Prozess nicht einmal angeschnitten worden. Welche Rückendeckung meinte sie?
»De facto und de jure bin ich die Leiterin der Dienststelle. Maxime Kolbe ist nur ein Unruhestifter, ein Polizist, der am Ende ist. Gegenwärtig ist er nicht im Dienst. Capitaine Broissard, der bei den Ermittlungen, die uns interessieren, mitarbeitete, ist verschwunden. Das bedeutet, dass sein Name in keinem Bericht auftauchen wird. Die Ausführungen von Lieutenant Apolline sagen uns, dass womöglich Kinder in Gefahr sind und genau in dieser Stunde die gleichen Misshandlungen durchmachen, die Sie gerade mit so großer Betroffenheit ansehen mussten.«
Dieses letzte Argument ließ den Staatsanwalt die Augen niederschlagen. Er bedeutete sein Einverständnis. Die vier Polizisten sprangen auf, um zu ihren Autos zu eilen. Die Kommissarin wies die Krankenwagen und das Sondereinsatzkommando noch einmal telefonisch an, sich bereit zu halten. Léo atmete tief ein.
Es war so weit.
30
Marne-la-Vallée,
Haus mit der roten Tür,
Sondereinheit
Zivilfahrzeuge an der Spitze.
Kastenwagen des Sondereinsatzkommandos dahinter.
Krankenwagen am Ende der Kolonne.
Lautes Hupen. Quietschende Bremsen. Autofahrer, die jäh auf die Seite fahren, um die Straße freizumachen. Mit Vollgas Richtung Norden. Die Porte de la Chapelle unter einem verhangenen Himmel.
Léo, ganz auf das Fahren konzentriert.
Er beschleunigte, wie um die Nacht zu verfolgen. Sie rasten durch die Mautstelle und brausten schon über den Autobahnzubringer.
Er erreichte das Ende der Kurve, als die Sonne plötzlich durch die Wolkenmasse brach.
Die A1 erstreckte sich als gerade Linie vor ihm, schimmernd wie eine Rasierklinge. Léo fegte durch das blendende Funkeln. Eine gleichmäßige Helligkeit hüllte das Fahrzeug ein. Unverwandt schob sich eine Wolke vor die Sonne, und das Heulen der Sirenen und die harten Linien tauchten wieder auf.
Sein Handy klingelte. Er schaltete die Freisprechanlage ein. »Apolline, ich höre.«
»Wir sind in dem Kastenwagen vor Ihnen. Ich habe Informationen über das Haus. Nach den Fotos, die bei der Durchsuchung gemacht wurden, liegt es freistehend auf einer Lichtung,
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