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Die elfte Geißel

Die elfte Geißel

Titel: Die elfte Geißel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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Taschenlampen tanzten in alle Richtungen und glitten über die Szenerie. Die blutrote Tür. Der Lärm kam näher. Umgestürzte Möbel. Erregte Stimmen. Eine Gestalt wurde von den Männern des SEK ins Treppenhaus gestoßen.
    »Alles okay hier oben! Alles gesichert! Ich wiederhole: Alles gesichert!«
    Der Unbekannte wurde mit einem gezielten Tritt zu Fall gebracht und fiel der Länge nach hin. Zwei Männer hielten ihn am Boden, ein Knie im Kreuz. Sie drehten ihm den rechten Arm auf den Rücken und legten ihm Handschellen an. Die Taschenlampe enthüllte das Gesicht eines etwa vierzigjährigen Mannes mit aschgrauer Hautfarbe, die Augen schlafverhangen, von panischer Angst ergriffen.
    »Sag uns, wo der Keller ist.«
    »Hilfe!«
    »Der Keller, verdammt!«
    »Hier ... hier gibt es keinen Keller ...«
    Einer der Männer drückte auf seine Schulter. Der auf dem Boden ausgestreckte Mann schrie vor Schmerzen.
    »Sag uns, wo der Keller ist!«
    »Aber ... aber hier hat es nie einen Keller gegeben ...«
    Der Mann in Schwarz wollte gerade den Arm ein weiteres Mal umdrehen, als einer seiner Kollegen rief:
    »Chef, ich habe was gefunden. Da, das klingt hohl!«
    Er klopfte mit der Faust an eine bestimmte Stelle der Wand in der Nähe der Küche. Der Schall breitete sich aus.
    »Da ist etwas dahinter.«
    Léo drückte das Ohr an die Wand im Flur. Er glaubte Hilferufe zu hören. Schreie aus dem Jenseits, die gleichen, die ihn in seinen Halluzinationen heimsuchten. Die Kinder waren lebendig eingemauert worden. Lebendig. Er kam nicht zu spät. Er schlug mit der Faust gegen die Wand. Er spürte, wie etwas Risse bekam.
    Mit Tritten schlugen sie die unter der Tapete versteckte Zwischenwand ein. Sie räumten den Schutt und die Holzbretter, die den Zugang versperrten, beiseite. Eine Treppe führte ins Halbdunkel. Aus der Öffnung drang der Geruch von Schimmel. Lampen durchlöcherten den Abgrund. Eine seltsame Stille schwebte über ihnen.
    Léo wagte sich auf die erste Stiege. Der Lauf seiner Waffe folgte der kleinsten verdächtigen Bewegung. Er suchte den Lichtschalter. Ausgerissene Drähte. Er stieg vorsichtig hinunter, gefolgt von den Männern der Brigade. Der Schein seiner Lampe fiel auf einen staubigen Betonboden.
    Mit sanfter Stimme rief er die Kinder.
    Keine Antwort.
    Er machte noch einige Schritte in die Dunkelheit. Die Taschenlampen waren zu schwach, um den Raum in seiner Gesamtheit auszuleuchten. Ein Schatten huschte durch den Lichtkegel der Lampe. Léo schreckte zusammen. Niemand rührte sich. Noch immer herrschte Schweigen. Léo spürte, wie sein Herz für den Bruchteil einer Sekunde aussetzte, als einer der Männer mit erstickter Stimme flüsterte:
    »Aber ... aber was ist denn hier passiert?« Sie richteten die Taschenlampen alle auf dieselbe Stelle. Eine Wand war vom Boden bis zur Decke mit dunklen Flecken übersät.
    Léo schloss die Augen, hielt den Atem an und flehte darum, es möge wieder nur eine Halluzination sein.
    In dem gelblichen Lichthof sah man, dass die Wand mit archaischen Blutmotiven überzogen war.
    Blutspritzer bildeten stellenweise eine dicke, wie plastisch modellierte Kruste, die abblätterte.
    Blut.
    Zu viel Blut.

31
La Courneuve,
Cité des 4000,
Mordkommission
    Der Wagen bog in die Ringautobahn ein und folgte dem Band der Straßenlaternen. Garcia zündete eine Zigarette an und schob sie zwischen Blandines Lippen. Sie fuhren an Glasfassaden entlang, die die Grenzen von Paris säumten. Riesige Reklametafeln verschandelten die Schnellstraße. Am Ende einer Kurve hätte Paul beinahe keine Luft mehr bekommen. Ein kurzer panischer Schrecken ließ ihn auf seinem Sitz erstarren. EIN TEIL VON IHNEN IN JEDEM VON UNS, las man in der Anzeige.
    »Hast du einen Geist gesehen?«, fragte Blandine.
    »Einen alten Bekannten.«
    »Ihn?«, sagte sie, auf das riesige Gesicht zeigend. »Wer ist das?«
    »Jésus Miguel Montoya.«
    Das gigantische Porträt schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
    »Willst du mich verschaukeln? Der mutmaßliche kolumbianische Mafioso?«
    »Höchstpersönlich«, antwortete er in einem Tonfall, der etwas aufgesetzt Entschiedenes hatte.
    »Aber woher kennst du ihn denn?«
    »Von einem Fall, in dem ich ermittelt habe, eine alte Geschichte.«
    Zwanzig Meter weiter hing noch ein Porträt des Chefs der Uriel Corporation. Dann noch eins und noch eins. Ein akuter Anfall von Paranoia suchte Garcia heim. Das riesige Porträtfoto des Erzengels am Straßenrand fesselte seine Aufmerksamkeit. Er zwang sich

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