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Die elfte Jungfrau

Titel: Die elfte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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andeuten?«
    »Richtig.«
    »Bei diesem verbotenen Ausflug rutschte sie auf dem gefrorenen Boden aus und brach sich das Genick. Nun, das wäre zumindest eine Erklärung. Eine bessere als jene, die die Gerüchte verbreiten. Denn sie mag sich mit ihrer Stiefmutter nicht besonders verstanden haben, aber dass sie sie mit ihrem Gezänk aus dem Haus getrieben hat, kann ich nicht glauben.«
    Mehr für sich sagte Almut: »Ich frage mich, ob man das Reliquiar bei ihr gefunden hat.«
    »Hat man nicht, Frau Almut!«
    »Was?«
    Magister Edwin war aufgestanden und nagte in Schuljungenmanier am Daumennagel.
    »Gott der Gerechte, nein, man hat nicht, Frau Almut, denn ich war es, der das arme Mädchen an jenem Morgen fand, als ich durch den Garten zum Haus ging. Jetzt, wo Ihr mich darauf ansprecht - nein, sie trug es nicht bei sich. Ich kniete nämlich bei ihr nieder, dachte, sie sei nur gefallen, und wollte ihr aufhelfen. Ich versuchte sie hochzuheben, und dabei rutschte ihr Umhang von ihren Schultern. Ihr Gewand war gelockert und das Hemd im Ausschnitt verrutscht. Es war mir sehr peinlich, darum deckte ich sie rasch wieder zu. Aber um ihren Hals lag das Medaillon nicht. Dann aber wurde mir klar, dass der Unfall schlimmer sein musste, als ich dachte, und ich lief zum Haus, um Hilfe zu holen.«
    »Wie schrecklich für Euch, Magister Edwin. Ihr hättet es sicher lieber vergessen. Und ich habe das nun alles wieder aufgerührt.«
    »Warum eigentlich, Frau Almut? Warum wollt Ihr das alles so genau wissen?«
    »Weil ich neugierig bin. Habt Dank für Eure Hilfe. Ich glaube, Ihr solltet jetzt ebenfalls in die Küche gehen, sonst lassen Euch Eure Zöglinge nichts von dem Mahl übrig, das ihnen gerichtet wurde!«
    Almut ließ den verdutzten Lehrer stehen, aber sie hatte keine Lust, ihm noch einmal die ganze Geschichte der Opfer zu erzählen.
    Frau Barbara hatte inzwischen ihre Arbeiten im Kontor beendet und sich in die Stube begeben. Ein Krug süßer Claret stand hier bereit, dazu ein Korb mit frischem Brot und eine Platte mit geräuchertem Lachs.
    »Ich kann ihn allmählich nicht mehr sehen!«, meinte Almuts Stiefmutter mit gerümpfter Nase. »Armeleute-Essen! Aber der Fisch ist wenigstens fett.«
    Almut lachte und erzählte von dem köstlichen Fastenessen zu Ehren Pater Leonhards, was Frau Barbara auf das Höchste amüsierte.
    »Dann lieber Lachs, bis er mir aus den Ohren herauskommt. Wie geht es denn deinem anderen Pater?«
    »Er hat sich mit seinem Vater getroffen.«
    »Wird er sich für ihn einsetzen?«
    »Ich weiß es nicht. Aber er hat ihn gebeten, eine Weile bei ihm zu wohnen. Pater Ivo glaubt, der Abt würde es ihm erlauben. Was mich auf einen Gedanken bringt …«
    »Na, Almut? Möchtest du denn eine Weile bei uns wohnen statt im Konvent?«
    »Nein, eigentlich nicht. Für den Ast der Buche bin ich heuer wohl zu schwer geworden.«
    Frau Barbara zwinkerte vergnügt und meinte: »Ich glaube nicht, dass ich dir Vorschriften machen würde.«
    »Nein, vermutlich nicht. Aber es ist etwas anderes. Sagt, gibt es noch die Truhe mit den Kleidern, die ich früher getragen habe?«
    »Ja, natürlich.«
    »Darf ich sie mir noch mal anschauen?«
    »Almut? Ein Wandel deiner Gesinnung?«
    »Es ist mir ja nicht verboten, wisst Ihr.«
    »Dann komm mit. Es gibt nichts Schöneres, als feine Stoffe und schöne Gewänder auszuwählen.«
    In einer abgelegenen Kammer fand sich die geschnitzte Holztruhe, die seit dem Auszug der jungen Braut vor nunmehr dreizehn Jahren verschlossen geblieben war. Es roch nach Lavendel und Kampfer, als sie den Deckel hoben. Eine grünseidene Sukenie lag obenauf, die Almut mit einem wehmütigen Gesichtsausdruck hervorholte.
    »Das war immer mein Lieblingsgewand.«
    Sie hielt es an ihre Schultern, und Frau Barbara schüttelte entsetzt den Kopf.
    »Nein, Almut, ich fürchte, das geht nicht mehr. Du warst damals fünfzehn, und ganz eindeutig bist du seither gewachsen. In die Höhe und in die Breite. Diese Gewänder kannst du nicht mehr tragen. Aber was ist mit denen geworden, die du während deiner Ehe getragen hast?«
    »Ich habe sie verschenkt.«
    »Oh. Nun ja.«
    Vorsichtig faltete Almut das Kleid wieder zusammen und legte es zurück in die Truhe.
    »Komm mal mit!«, forderte ihre Stiefmutter sie auf. Und in den Truhen ihrer geräumigen Kammer suchte sie ein meerblaues Gewand heraus.
    »Wir sind ungefähr von gleicher Statur. Probier das an.«
    »Aber, Frau Barbara …«
    »Keine Widerrede. Ich will dich endlich wieder einmal

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