Die elfte Jungfrau
Dinge?«
Wieder versank der Baumeister in brummiges Schweigen.
Es hielt an, bis sie das Haus am Mühlenbach erreicht hatten. Dort hatte er sich wieder beruhigt und meinte: »Zumindest hast du gut daran getan, mit mir zusammen zum Turm zu gehen.«
»Ja, Herr Vater, und ich danke Euch auch recht herzlich. Glaubt Ihr, meine Stiefmutter würde sich über meinen Besuch freuen?«
»Tut sie das nicht immer? Verbringt doch ihre Zeit gerne mit Schwatzen!«
Almut lächelte ihren Vater an und folgte ihm ins Hausinnere.
Frau Barbara war in der Schreibstube damit beschäftigt, mit flinken Fingern auf dem Abakus zu rechnen, schob aber das Rechenbrett sofort zur Seite, als Almut eintrat.
»Ist es ohne Ärger abgelaufen?«
»Natürlich.«
Ihre Stiefmutter hörte sich den Bericht mit großem Interesse an und warf gelegentlich ein paar Fragen ein.
»Ich habe mich beinahe jeden Tag bei den Steinheuers sehen lassen. Sie sind zutiefst betroffen, Almut. Es sind viele hässliche Dinge ans Tageslicht gekommen. Sanna hat sich ganz offensichtlich nicht so verhalten, wie man es von einem anständigen Mädchen erwarten konnte.
Ihre Mutter weigert sich, die Schlafkammer zu verlassen. Neben der Trauer muss sie nun auch die Schande ertragen.«
»Den Benediktinerinnen und den Eltern der Novizin geht es ähnlich.«
Versonnen sah Frau Barbara durch das Fenster auf den Hof hinaus.
»Ich hoffe, ich mache es bei Mechthild besser. Aber ich frage mich, wie man junge Mädchen hüten kann.«
»Da fragt Ihr wirklich etwas. Weder Mauern noch strenge Regeln helfen offensichtlich. Ich selbst habe Angst um Trine und auch um unsere Schülerinnen. Mit Trine habe ich darüber geredet und ihr das Versprechen abgenommen, sie möge sich mir anvertrauen, wenn sie sich in einen jungen Mann verliebt.« Almut grinste ein wenig verschämt. »Ich habe ihr nicht verboten, das zu tun. Vielleicht reicht ihr Vertrauen.«
»Das ist möglicherweise klug, Almut. Verbote schüren Heimlichkeit. Ich werde das bei Mechthild bedenken.« Und dann, nach einer kurzen Pause, fragte Frau Barbara neugierig nach: »Sag mal, als du in dem Alter warst...«
»Ja, da gab es eine sehr passende Buche vor meinem Zimmer...«
»Almut?«
»Ich bin ein paar Mal ausgerissen, Frau Barbara. Einmal habe ich mit dem Sohn des Zimmermanns in den Gassen getanzt, ein andermal mit dem Werkzeugmachergesellen im Mondlicht gekost. Aber ich bin als Jungfrau in die Ehe gegangen.« Aber bitter fügte sie hinzu: »Ich hätte das besser nicht getan.«
Frau Barbara seufzte.
»Es war keine gute Wahl, die dein Vater getroffen hat.«
»Es ist vorbei.«
»Ja.«
»Und jetzt, Stiefmutter, sagt mir, wie es den Kindern geht.«
Der bedrückte Ausdruck auf Frau Barbaras Gesicht verschwand, und sie erzählte von der Freude, die ihr ihre beiden leiblichen Kinder machten.
»Sie sind jetzt im Schulzimmer? Das trifft sich, ich würde gerne mit ihrem Lehrer ein paar Worte wechseln. Darf ich sie aufsuchen?«
»Was willst du von Magister Edwin?«
»Ihn zu Gisela Schiderich etwas fragen.«
»Almut, ich fürchte, du mischst dich schon wieder in etwas ein!«
»Das tue ich.«
»Ich kann dich ja nicht hindern. Geh nach oben und schick die Kinder zu Maria in die Küche.«
Mechthild und Peter saßen über ihre Wachstäfelchen gebeugt und versuchten, aus dem lateinischen Text, der auf dem Pergament vor ihnen lag, einen Sinn herauszuarbeiten. Als Almut den Raum betrat, ließen beide mit einem Juchzen die Griffel fallen.
»Habt Ihr uns wieder Karamellen mitgebracht, Frau Almut?«
»Naschkätzchen, doch nicht in der Fastenzeit. Aber hier habe ich doch...«, umständlich kramte Almut in dem Beutel an ihrem Gürtel, »… hier habe ich doch tatsächlich eine blaue Borte gefunden, die ich selbst gewebt habe!«
Mechthild strahlte, aber Peter murrte was von weiblicher Eitelkeit.
»Und ein Paar Schellen für die Stiefelspitzen!«
Jetzt strahlte auch Peter, während Mechthild kicherte und etwas von männlicher Eitelkeit murmelte.
»Für Euch, Magister Edwin, habe ich leider nichts.«
Der junge Mann in der dunklen Gelehrtenkleidung sah seinem Bruder Jakob nur wenig ähnlich, er war schmaler, das Gesicht scharf geschnitten, das Gebaren würdevoll. Doch um seine Augen lag ein freundlicher Zug, der sich vertiefte, als Almut ihn ansprach.
»Nun, für bunte Borten habe ich wenig Verwendung, und Glöckchen an den Stiefeln überlasse ich den modischen Herren.«
»Solchen wie Bruder Jakob?«
Magister Edwin verzog ein wenig
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