Die elfte Jungfrau
protestieren konnte. Dann haben sie ihn rausgezerrt. Ich hab’ erst am Tag darauf erfahren, wohin sie ihn gebracht haben.« Plötzlich schluchzte sie auf: »Ich darf noch nicht einmal zu ihm. Aber es heißt, die Irren werden mit Ketten an die Betten gefesselt. In winzigen, stinkenden kleinen Hundehütten.«
»Wir werden feststellen, wer zu ihnen darf, Frau Lena. Es muss Leute geben, die ihnen Essen bringen, und solche, die sich um ihr Leid kümmern. Bertram ist kein Verrückter. Er ist ein guter Junge, und er wird bald wieder bei Euch sein.«
»Ja, aber wenn er dort einen Anfall …«
»Wir werden sehen. Hättet Ihr nur früher mit uns gesprochen, dann hätten wir schon etwas unternehmen können.«
»Aber es war doch, weil er Euch verletzt hat. Jemand, der das gesehen hat, wird ihn angezeigt haben.«
»Vermutlich. Aber es waren ausgerechnet zu dieser Zeit recht viele Leute im Refektorium. Aber nun macht Euch keine so großen Sorgen. Geschehen kann ihm im Turm nichts, und es wird alles getan, um ihn wieder zu Euch zu bringen.«
Frau Lena wischte sich mit dem Ärmel über das runde Gesicht und murmelte: »Danke.«
»Und jetzt habe ich noch eine ganz andere Bitte an Euch. Sagt, könntet Ihr nicht eine gute Bäckerin zur Hilfe brauchen? Eure Pasteten erfreuen sich so großer Beliebtheit, dass Ihr, wie mir scheint, manchmal gar nicht nachkommt mit Backen.«
Jetzt erst richtete sich Lenas Aufmerksamkeit auf Corinne und den kleinen Jungen. Der hatte sich wieder in den Falten des Kleides seiner Mutter versteckt und lutschte an seinem Daumen.
»Magst du einen süßen Wecken, Bub?«, fragte die Pastetenbäckerin, als sie seine runden Augen auf sich ruhen sah.
Er nickte ernsthaft und zog den Daumen aus dem Mund.
Er erhielt die weiche Süßigkeit und rückte zutraulich etwas näher an Almut.
»Nun ja, ein bisschen Hilfe könnte ich schon brauchen. Susi ist noch immer krank, und ich kann nicht gleichzeitig backen und verkaufen.«
»Ich habe viele Jahre meinem Vater in der Backstube geholfen, Frau Lena. Ich kann Pasteten, Torten, Brote und Wecken backen. Verkaufen kann ich sie auch. Ich kenne auch eine Reihe Fastengerichte und auch solche mit herzhaften Fleischfüllungen.«
»Wie kommt es, dass Ihr dann Arbeit sucht?«
»Das wird Euch Corinne sicher gleich erzählen. Ich kümmere mich jetzt darum, was man für Euren Sohn tun kann.«
Almut erhob sich und überließ es Corinne und Lena, sich miteinander bekannt zu machen.
36. Kapitel
S alve Regina, Mater misercordiae... Seigegrüßt, o Königin, Mutter der Barmherzigkeit, unser Leben, unsere Wonne und unsere Hoffnung, sei gegrüßt! - Hoffnung, ja, Hoffnung, die brauchen wir wirklich, Maria.«
Almut kniete nach dem langen und ereignisreichen Tag erschöpft vor dem Tischchen und betrachtete die Marienstatue im ruhig brennenden Licht des Öllämpchens.
Die Fensterläden hatte sie geschlossen, um die kühle Nachtluft auszuschließen. Obwohl es schon Ende März war und die Fastenzeit zur Hälfte vorüber, wurde es, wenn die Sonne untergegangen war, noch immer sehr kalt.
»›Zu dir rufen wir verbannten Kinder Evas, zu dir seufzen wir trauernd und weinend in diesem Tal der Tränen. ‹ Aber Trauern und Seufzen alleine nützt ja nichts, Maria. Man muss es anpacken. Immerhin, für Bertram konnten wir etwas tun. Der Ratsherr bestätigte, er sei denunziert worden, und meine Wut, Maria, höchst unbotmäßig, ich weiß, kocht noch immer, wenn ich daran denke. Tatsächlich war es Pater Leonhard, der ihn als tollwütigen Wahnwitzigen bezeichnete, der eine Gefahr für Land und Leute darstelle. Dieser scheinheilige Lump, dieser doppelzüngige Schwindler, dieser …«
Das Flämmchen brannte plötzlich gar nicht mehr ruhig, sondern schoss in einem funkenstiebenden Strahl nach oben, wodurch die goldene Mariengestalt grell aufblitzte.
»Schon gut, schon gut, du liebreiches Herz, Maria. Ich will mich beruhigen. Der Herr der Rache wird sich hoffentlich um ihn kümmern. Vielleicht könntest du ihn darauf hinweisen, du Schild der Streitenden. Also, wir haben erst einmal getan, was wir konnten, und morgen Vormittag wird Pater Ivo vorbeikommen. Ich bin sicher, er wird im Turm vorgelassen, um nach Bertram zu sehen. Priester dürfen ja auch zu den Gefangenen. Ach ja, und vielleicht kann er uns auch helfen, Pater Leonhard dazu zu bewegen, seine Anschuldigung zurückzuziehen. Hm, ja. Das wäre die beste Lösung. Und - hm, ja - wenn er das tut, wäre ich gerne dabei.«
Noch einmal wollte
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