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Die elfte Jungfrau

Titel: Die elfte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Rigmundis’ Seherfähigkeiten gehabt, hätte sie gewusst, dass sie im Webmuster des Geschehens an einem entscheidenden Faden gezogen hatte.

42. Kapitel
    D ie Mutter war zur Muhme gegangen, um ihr bei dem Frühjahrsputz zu helfen, der bei den Overstolzens durchgeführt werden sollte. Lissa hatte die Wäsche alleine zu machen, aber zum Glück war es nur ein kleiner Haufen Hemden, der in der Aschenlauge lag. Sie begoss das Leinen mit heißem Wasser und drückte es mit dem Wäschestampfer durch. Danach musste es die Nacht über einweichen, und den Abend hatte sie nun frei. Mit der kostbaren Salbe rieb sie sich die Hände ein, bürstete sich die Haare gründlich aus und flocht die neuen Bänder hinein. Auch das Obergewand bürstete sie gründlich und gönnte sich darunter sogar den Luxus eines frischen Leinenhemdes. Zu gerne hätte sie das neue Kleid angezogen, aber das musste bis Ostern warten. Immerhin duftete das Hemd nach dem trockenen Lavendel, den sie im vergangenen Sommer in Beutelchen genäht und zwischen die Wäsche gesteckt hatte. Zwischen der Wäsche steckte jetzt auch dieses hübsche Andachtsbildchen, auf dem die heilige Ursula mit einem
    Pfeil in der Brust abgebildet war. Das hatte ihr der Liebste geschenkt, und ihre Andachten galten, wenn sie es sehnsuchtsvoll betrachtete, weniger der Heiligen als dem Geber.
    Als die Sonne unterging, wickelte sie sich das Wolltuch um Kopf und Schultern und machte sich, mit flatternden Schmetterlingen im Bauch, vom Entenpohl, hinter Sankt Ursula, zum Holzmarkt auf.
    Es übertraf alle ihre Träume. Claas war der rücksichtsvollste Liebhaber, den sich eine Jungfrau wünschen konnte. So oft hatte sie von ihren Freundinnen gehört, die Männer nähmen sich roh, was sie wollten, sie würden, außer ein paar drängenden Küssen, keine Zärtlichkeiten kennen und wollten gierig so schnell wie möglich ihre Lust befriedigt haben. Ihr Geliebter aber war ganz anders. So sanft und liebevoll streichelte und küsste er sie. Immer wieder bat er um Erlaubnis, bevor er eine neue exquisite Liebkosung begann. Und selbst, als sie schon beinahe von Sinnen vor Erregung war, fragte er immer noch, ob sie es denn wirklich zulassen wolle, dass er ihr Jungfernkränzchen nahm.
    Sie ließ es zu.
    Und damit war ihr Todesurteil gesprochen.
    Als Claas sie sehr viel später in der Dunkelheit nach Hause begleitete, war sie übermütig, und just hinter der Schenke »Zum Adler« machte sie den vorwitzigen Vorschlag, dort in den hellen Räumen, aus denen der Fastenzeit zum Trotz Fidelquietschen drang und der Duft von nahrhafter Suppe, einzukehren.
    »Ja, mein Liebchen. Aber vorher küss mich noch einmal im Mondschein!«
    Nur zu gerne willigte Lissa ein.
    Ihren leblosen Körper ließ Claas achtlos in den Büschen hinter der Schmiede liegen. Der »Adler« hatte den Ruf, gelegentlich recht rohe Gesellen zu beherbergen, Wilderer, die ihr unrechtes Gut dem Wirt verkauften und ihm dann und wann auch schon mal die Bude zerlegten. Ein Wäschermädchen kam da leicht zu Schaden.

43. Kapitel
    D as Aprilwetter tobte sich in wilden Kapriolen aus.
    Ein kräftiger Wind scheuchte Wolken über den Himmel, und unerwartet ging ein Platzregen nieder.
    Almut hatte sich vor dem unerwarteten Schauer in die Unterrichtsstube geflüchtet, wo zehn Jüngferchen und Pitter auf den Rechenbrettern klapperten und dabei leise stöhnten. Clara schrieb säuberlich mit dem Federkiel einen Text auf Pergament, den sie zuvor auf einem Wachstäfelchen verfasst hatte. Almut trat näher.
    »Was übersetzt du?«
    »Nehmt Aale, überbrüht sie und schneidet sie in einen halben Zoll dicke Stücke. Daraufhin nehmt einen besonders fetten Käse...«
    »Sehr beschaulich.«
    »Dominikanertorte, hat Corinne mir für Gertrud aufgeschrieben. Und die Mädchen rechnen jetzt aus, wie viel Mehl, Eier und Butter man für dieses Gericht braucht, wenn man sieben, zwölf oder gar einundzwanzig Menschen damit speisen will. Pitter hat sich geweigert, sich mit diesem Weiberkram abzugeben, und rechnet nun die Anzahl der benötigten Aale und Krebse aus.«
    »Vernünftig.«
    Almut sah sich anerkennend um und fragte dann: »Was ist mit Lissa?«
    »Schon seit Montag nicht hier. Fidgin meint, sie müsse arbeiten.«
    Fidgin schaute von ihrem Rechenbrett auf und nickte.
    »Ihre Mutter ist bei der Muhm, die bei den Overstolzens Magd ist. Und die halten vor der Judaswoche großen Putz. Da muss die Lissa die ganze Wäsche alleine machen.«
    »Na, da kann man wohl nichts

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