Die elfte Jungfrau
Euch etwas geben, das Euch helfen wird, die Last leichter zu ertragen.«
Sie legte Simon das Seidentüchlein mit der Reliquie in die schwielige Hand.
»Hebt es gut auf und haltet es von der Wirtin fern. Wenn sie Euch allzu sehr zusetzt, werdet Ihr Hilfe dadurch finden. Es ist ein Zehenknöchelchen Eures Namenspatrons, der all den Männern zur Seite steht, die mit einer Frau geschlagen sind, die im Hause den Herrn spielt.«
»Almut!«, quietschte Franziska empört auf und versuchte vergeblich, das Knöchelchen zu erhaschen.
»Bleib du bei deinen Suppenknochen, Weib. Ich schwöre dir, sie nicht mehr anzurühren. Aber lass deine Finger von meinen heiligen Knochen.«
»Von allen?«
Franziska funkelte ihren Gatten herausfordernd an.
Der Fuhrknecht verhinderte eine weitere Steigerung der Auseinandersetzung, indem er an der Hintertür polterte und dröhnend nach dem Schmied rief.
»Ich muss Euch verlassen, Frau Almut. Eine Lieferung Brennholz ist eingetroffen, und ich muss dem Mann zeigen, wo er die abladen soll.«
Almut half Franziska, den Verband zu lösen, die rote, blasige Haut mit der Salbe zu bestreichen und neu zu verbinden. Corinne legte in der Zwischenzeit die Pasteten auf die Holzplatten und rührte auch die Würze im Braukessel noch einmal um.
»Ihr werdet mit dem Arm einige Tage Hilfe brauchen, Franziska. Ich werde unsere Mädchen fragen, ob sie Euch zur Hand gehen wollen.«
»Ach, das wäre fein. Die Fidgin und die Lissa haben bei der Hochzeit ja schon ausgeholfen.«
»Lissa wird keine Zeit haben, sie muss die Wäsche machen, aber Fidgin und auch Hilke werden sich sicher gerne einen Pfennig verdienen.«
Die Tür zum Hof sprang plötzlich weit auf, und Simon trat ein. Sein Gesicht war unerwartet blass, und hilfesuchend wandte er sich an sein Weib.
»Franziska, da ist ein Unglück geschehen!«
»Was denn, Simon? Hat sich jemand verletzt?«
»Schlimmer, fürchte ich.«
»Drucks nicht herum, Mann. Wie können wir helfen?«
»Ich weiß nicht. Da hinter dem Haus, unter den Büschen …«
Almut beschlich eine entsetzliche Ahnung.
»Was fandet Ihr in den Büschen?«, fragte sie beklommen.
»Ein Mädchen.«
»Simon!«
»Sie … sie ist … Ich fürchte, sie ist tot.«
»Gütige Maria. Kennt Ihr das Mädchen?«
»Ich habe sie mir nicht genau angesehen.«
»Feigling!«, fauchte Franziska den verstört dreinblickenden Mann an und fegte aus der Küche. Almut warf das Verbandszeug auf den Tisch und folgte ihr.
Der Haufen Holz war in der Nähe des verfilzten Brombeergebüschs abgeladen worden, unter dem ein verwaschenes Stück blauen Stoffes hervorschaute.
Die Köchin wollte ungeachtet ihres verletzten Armes sofort zupacken, aber Almut hinderte sie daran. Vorsichtig zerrte sie an den dornigen Ranken und warf einen Blick auf das Opfer.
»Simon soll die Zweige wegschneiden!«, befahl sie, und Franziska rief mit gellender Stimme nach ihrem Mann und einer starken Schere. Der Schmied folgte dieser Aufforderung umgehend, und gleich darauf hatten sie das Mädchen freigelegt.
»Lissa!«, stellte Almut fest. »Heilige Mutter Maria, erbarme dich ihrer!«
Stumm bekreuzigten sich die Umstehenden.
»Ein Überfall? Glaubt Ihr, es war ein Überfall?«, wollte Simon mit heiserer Stimme wissen.
»Habt Ihr etwas gehört? Habt Ihr wieder Eure wilden Gäste beherbergt, Simon?«
»Einige von ihnen waren am Montag hier. Aber es war ruhig, Frau Almut. Keine Schlägerei oder so, meine ich. Was … was müssen wir tun?«
Auch Franziska rang die Hände und fragte: »Müssen wir es den Wachen melden? Ich meine...«
»Schlecht fürs Geschäft, was?«, fragte Almut mit einem leicht giftigen Unterton. Andererseits fürchtete sie nur zu sehr, hier das zehnte Opfer des Mörders vor sich zu haben, und eingedenk der Warnung, nichts zu unternehmen, atmete sie tief durch und fragte: »Wer außer Euch hat das Mädchen gesehen?«
»Ich fand sie, als ich die Holzkloben zum Hacken in den Hof tragen wollte.«
»Holt eine Decke und hüllt sie darin ein. Bringt sie in Euren Schuppen, aber achtet darauf, dass es niemand bemerkt.«
Die Wirtsleute nickten stumm.
Almut überlegte weiter laut: »Sie wohnt nicht weit von hier. Ihre Mutter ist eine Wäscherin. Soweit ich weiß, hilft sie derzeit einer Verwandten, die als Magd bei den Overstolzens tätig ist. Ich werde sie benachrichtigen. Dann entscheiden wir, was zu tun ist.«
Corinne versuchte vergeblich, aus Almut etwas herauszubekommen, als sie sich mit geschwindem Schritt zum
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