Die elfte Jungfrau
Beginenhof zurückbegaben. Almut suchte sofort die Meisterin auf.
»Heilige Mutter Maria, beschütze uns!«, stieß diese aus, als sie ihr in knappen Worten das Geschehen schilderte. »So ist denn wahr, was du vermutet hast?«
»Ja, es ist wahr. Und der Mann ist erschreckend gefährlich. Darum hat mir Pater Ivo ja befohlen, nichts, aber auch gar nichts zu unternehmen. Aber jetzt kann ich doch nicht einfach die Hände in den Schoß legen, Magda. Das Mädchen war eine unserer Schülerinnen.«
»Darum wird es meine Aufgabe sein, mich um die Mutter zu kümmern.«
»Lissa muss von einer Hebamme untersucht werden, und die Mutter muss es im Turm anzeigen.«
»Was soll sie angeben? Dass das Mädchen ermordet wurde? Soll ein Verdächtiger genannt werden?«
»Es wird ihr schwerfallen, den Richtigen zu benennen.«
Die Meisterin betrachtete die Begine eindringlich.
»Ihr - du und Pater Ivo - könntet es aber.«
»Ich könnte es, aber es gibt vermutlich keine Beweise, auf Grund derer man ihn festnehmen könnte. Wir suchen sie noch. So Gott will, finde ich jetzt etwas.«
Es waren entsetzliche Stunden, die nun folgten. Sowohl die Beginen, noch mehr aber die Mädchen waren vollkommen verstört, als sie von dem Unfall hörten - und Unfall nannten Magda und Almut es zunächst. Vielleicht auch Überfall. Die Wäscherin schrie und klagte und war nicht in der Lage, auch nur einen zusammenhängenden Satz zu sagen, geschweige denn, eine Entscheidung zu treffen. Irgendwie gelang es Elsa, aus ihr den Namen ihres Schwagers herauszubekommen, einem Kalfaterer am Rheinhafen. Pitter wurde ausgeschickt, ihn zu holen.
Auf einem zugedeckten Eselskarren hatte Simon seine traurige Last an dem Haus abgeliefert, dessen Keller die Wäscherin mit ihrer jüngsten Tochter bewohnte. Der Körper des Mädchens wurde von Mettel und Elsa auf ein Brett zwischen zwei Stühlen aufgebahrt. Eine Hebamme aus der Nachbarschaft bestätigte, was Almut erwartet hatte. Ihr Hals war gebrochen, und sie war keine Jungfrau mehr. Almut blieb, als die beiden Beginen den Totendienst versahen, die Leiche wuschen und zurechtmachten. Und dann, als sie das neue Kleid, das Lissa zu Ostern hatte tragen wollen, aus der Truhe nahm, fand sie bei den Lavendelbeutelchen das Andachtsbild. Sie schwieg darüber, aber nahm es an sich und steckte es in ihre Gürteltasche.
Inzwischen war es Magda kraft ihrer ruhigen Autorität gelungen, die Nachbarinnen dazu zu bewegen, sich der Mutter anzunehmen, und auch der Kalfaterer war eingetroffen. Er erwies sich allerdings als ein so einfältiger Tropf, dass man ihm das Aufsuchen des Turmmeisters unmöglich zumuten konnte. Auch der magere grauhaarige Pfarrer war ein zu verhuschtes, weltfremdes Männchen, der zwar sanft mit der Trauernden sprach, aber ansonsten keine Hilfe war. Schließlich hatte die Fidgin einen Vorschlag zu machen, der brauchbar erschien. Sie wies darauf hin, die älteste Tochter der Wäscherin sei eine verständige Person, die wohl hilfreich sein könnte. Sie lebte jedoch außerhalb der Stadt, war mit einem Zeitler verheiratet, und nach ihr musste erst noch geschickt werden. Das zumindest konnte man dem Schwager zutrauen, und er wurde ausgesandt, die junge Frau zu ihrer Mutter zu rufen.
Die Schülerinnen hatten sich bereit erklärt, bei Lissa zu sitzen und die Totengebete zu sprechen, doch bevor die Fidgin zu ihnen in das klamme Kellergelass ging, fragte sie noch einmal mit lustvollem Grauen in den Augen: »Frau Almut, glaubt Ihr, der Apotheker hat sie umgebracht?«
»Süße Maria, nein. Warum denn er?«
»Lissa hat es gesagt. Am Freitag noch. Er sammelt tote Jungfrauen.«
Almut wollte sie gerade heftig anfahren, aber ein Fünkchen Einsicht bewahrte sie davor. Wenn es neue Gerüchte gab, die Meister Krudener schaden konnten, dann würde sie sie eher erfahren, wenn sie geduldig zuhörte. Auf diese Weise erfuhr sie von dem dummen Gewäsch über die Gebeine der Ursulajungfrauen, die angeblich die höllischen Geister in Schach hielten.
»Fidgin, die heiligen Jungfrauen sind seit vielen, vielen Jahren tot, und ihre Gebeine sind heute wundertätige Reliquien. Wenn der Apotheker sie in seinem Keller hat, dann, weil sie Gutes tun und seine Salben und Arzneien segnen. Ich bin oft bei ihm, und mir ist noch nie etwas Unheimliches oder gar Böses in seinem Haus aufgefallen. Aber es gibt einige Leute, die es ihm neiden, dass er ein angesehener, kundiger und in den medizinischen Lehren bewanderter Mann ist.«
»Aber er soll
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