Die elfte Jungfrau
legte Pater Ivo ihnen die Hände ineinander und erklärte die beiden zu Mann und Frau. Dann geleitete er sie in das Innere der Kirche, und die Gemeinde folgte ihnen, um die Brautmesse zu hören.
Normalerweise besänftigte die Liturgie mit ihren Psalmen und Litaneien, dem Weihrauch und dem weichen Kerzenlicht Almuts oft ruhelosen Geist, aber dieses Mal blieb die Wirkung aus. Pater Ivo hatte eine volltönende, tiefe Stimme, und die Gesänge verursachten ihr ein Prickeln entlang der Wirbelsäule. Sie traute sich kaum aufzuschauen, obwohl sie sich einen Platz weit vorne, ganz in der Nähe des Brautpaares, erobert hatte. Nur einmal, als der Pater zu seiner Predigt anhob, sah sie verblüfft hoch.
»Hört die Worte des Predigers Salomo: ›So ist’s besser zu zweien zu sein als alleine: denn sie haben guten Lohn für ihre Mühe. Auch wenn zweie beieinanderliegen, wärmen sie sich: Wie kann ein Einzelner warm werden?«
Sein Blick war auf Franziska und Simon gerichtet, doch einen winzigen Moment spürte sie seine Augen zu ihr hingleiten. Zwei Fältchen hatten sich in den Winkeln gebildet. Dann aber widmete er sich wieder ganz der Auslegung des Bibelwortes und gab den beiden die passenden Ratschläge mit auf den gemeinsamen Lebensweg. Von Frauen und Fangnetzen war dabei nicht die Rede.
Erleichtert schloss sich Almut nach der Beendigung der kirchlichen Feier der Gruppe an, die hinter den Adlerwirten zum Gasthof eilte. Nicht alle Beginen waren der Einladung gefolgt. Clara hatte etwas von Kopfschmerzen gemurmelt, die große Menschenansammlungen ihr verursachten, Ursula, die erst vor kurzem ihren Mann verloren hatte, war zu bedrückt von der Zeremonie und wollte in der Abgeschiedenheit der Kirche für die Seele des Verstorbenen beten, Rigmundis liebte laute Veranstaltungen ebenfalls nicht, und die drei Seidweberinnen schlossen sich ihr wie üblich an. Elsa entschuldigte sich mit einer Kranken, die sie zu besuchen hätte. Doch Bela und Mettel, die einst verwitwete Bauersfrauen waren, hatten ihren Spaß an fröhlichen Festen. Gertrud hingegen fühlte sich der Braut verpflichtet, die sie vor zwei Monaten, als sie krank daniederlag, vertreten hatte und der sie einen mürrischen Respekt zollte.
Magda entließ die Beginen, die nach der Messe zum Konvent zurückkehren wollten. Gestützt auf ihren Stock, denn noch immer schmerzten sie die Gelenke, ging sie langsam die Uferstraße entlang, und Almut passte sich ihrer Geschwindigkeit an. So trafen sie erst ein, als die anderen sich schon in der Schankstube und auch in der aufgeräumten Schmiede eingefunden hatten.
Die Stimmung war ausgelassen, und daran war mit Sicherheit der verlockende Duft nach allerlei Köstlichkeiten schuld, genau wie die wohl gefüllten Krüge, aus denen schäumendes Bier, Met, Apfel- und Würzwein flossen. Das Brautpaar hatte sich flugs wieder in Wirtsleute verwandelt, und zusammen mit einigen Mägden sorgten sie für das Wohlergehen der Gäste, obwohl ihre Plätze an der langen Ehrentafel mit Apfelbaumzweigen geschmückt waren, die in der Wärme der Stube ihre Blüten frühzeitig entfaltet hatten. Als Franziska die Meisterin der Beginen und Almut erspähte, drängte sie sich behände durch die Menge, schubste hier, knuffte da und hatte sie schnell an die Ehrenplätze geführt. Mit aufrichtiger Rührung nahm sie das Kästchen Zucker entgegen, das Magda ihr mit den Segenswünschen der Beginen überreichte, und wies dann eine der Mägde an, das Beste aus der Küche für die grauen Frauen aufzufahren.
Almut stippte ihr knuspriges Brot in das Zwiebelmus und ließ ihren Blick über die Anwesenden schweifen. Fast alle, die auch in der Kirche waren, hatten sich eingefunden. Darüber hinaus bemerkte sie Maria, die Zugehfrau ihrer Stiefmutter, die gleich Franziska aus Aachen stammte und vermutlich während der kirchlichen Zeremonie über die Küche gewacht hatte. Sie fachsimpelte mit Lena, die ihre Pasteten beigesteuert hatte. Bertram saß ruhig in einer Ecke. Er hatte seine gepolsterte Gugel abgenommen, denn in der Schankstube war es warm geworden. Ohne diese monströse Kopfbedeckung war er ein hübscher Junge, dessen braune Haare sich bis auf die Schultern ringelten. Auch Lissa schien das zu finden, denn sie errötete recht gefällig, als sie ihm und seinem Begleiter einen frischen Krug Apfelwein vorsetzte. Bertram lächelte ihr zögerlich zu, aber dann lauschte er wieder dem gut aussehenden Mann an seiner Seite, der Almut bekannt vorkam. Aber es fiel ihr nicht ein,
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