Die elfte Jungfrau
aus feinstem Wollstoff, darunter schauten weichlederne Schnabelschuhe und violette Seidenstrümpfe hervor. Sein Brevier, das er gerne in der Hand hielt, war in goldgeprägtes Leder gebunden. Er trug seine braunen Haare kurz und hatte eine saubere Tonsur geschnitten, die Wangen waren glatt rasiert. Seine Züge wirkten gefällig und einnehmend und ließen ihn jünger als fünfunddreißig Jahre erscheinen.
Vor noch zwei Jahren hatte Almut ihn für einen ganz annehmbaren Priester gehalten, wenngleich sie fand, es fehle seinen Predigten der gewisse Glanz, der die ungeminderte Aufmerksamkeit seiner Gemeinde wach gehalten hätte.
»Nun, Ihr wisst sehr wohl, es steht einer jungen Frau an, den Rat ihres Vaters zu befolgen.«
»Ja, Pater Leonhard. Aber er verlangt beständig von mir, ich solle mich wieder verheiraten, und respektiert meinen Wunsch nicht, das keusche Leben einer Begine zu führen! Was soll ich tun?«
Vor die Aufgabe gestellt, zu entscheiden, ob Gehorsam oder Keuschheit zu bevorzugen sei, zögerte der Priester mit seiner Antwort. Dreimal musste er sich räuspern, bis er eine Lösung fand.
»Ich werde mit Eurem Herrn Vater darüber sprechen.«
»Oh, danke, Pater Leonhard. Dann werde ich endlich wieder ruhig schlafen können.«
Derart sanfte Ironie prallte an dem Priester ab, ja, er bemerkte sie nicht einmal. Im Gegenteil, er hatte eine andere gedankliche Richtung eingeschlagen.
»Es sind mir, meine Tochter, weit schwerere Verfehlungen zu Ohren gekommen, die Ihr begangen habt!«
Almut sandte der kleinen Marienstatue auf dem Tisch am Fenster einen bittenden Blick und schwieg abwartend.
»Ihr habt während meiner Abwesenheit die Lehren unserer heiligen Mutter Kirche in Frage gestellt, habt mit Priestern disputiert und Schande über Euren Konvent gebracht.« Die Stimme Pater Leonhards war plötzlich sehr scharf geworden. »Mich nimmt wunder, dass Ihr diese Sünden nicht beichten wollt!«
»Verlangt Ihr von mir, ein und dieselbe Sünde zweimal zu beichten? Ich habe es bereits getan und bereut und schwere Buße dafür auf mich genommen, Pater. Überaus harte Buße!«
Almut musste an das Verbot denken, süße Wecken zu essen. Sie hatte es sehr ernst genommen.
»Ähm!« Wieder nahm der Priester Zuflucht zu einem Räuspern, dann wollte er aber wissen: »Wer war Euer Beichtiger?«
»Pater Ivo von Groß Sankt Martin. Ein wirklich strenger Mann. Da könnt Ihr jeden fragen!«
Vor allem die Novizen - spottete es in Almuts Hinterkopf. Aber sie beherrschte sich mustergültig.
»Äh - ja. Der Vorfall spielte sich ja in der Pfarrkirche dort ab, wenn ich richtig unterrichtet bin.«
»In Sankt Brigiden, genau. Dort waren wir ja gezwungen, die Messe zu besuchen, während Ihr den Erzbischof begleitet habt.«
Almuts Blick verriet ihre Meinung dazu, als sie ihm gerade in die Augen sah. Eine gewisse Verlegenheit brachte den Priester dazu, das Thema nicht weiter zu vertiefen. Er wich dem Blick der Begine aus und ließ den seinen durch das Zimmerchen schweifen.
»Ich sehe, Ihr habt eine wertvolle Statue auf Eurem Pult stehen? Ein Geschenk, meine Tochter? Billigt Eure Meisterin derartige Kostbarkeiten in diesen bescheidenen Räumen?«
»Kein Geschenk, es sei denn, eines des Himmels. Ich fand die Statue, als ich das Fundament für unseren Schweinestall ausgrub.«
»Eine goldene Figur fandet Ihr auf diesem Grund?«
Man hätte, wenn man böswillig sein wollte, eine gewisse Habgier in dieser Frage mitschwingen hören können.
»Eine verwitterte Bronzefigur. Sie - sie kam zu Schaden, durch einen Unfall. Ich ließ sie reparieren, und dabei hat der Goldschmied sie mit einer hauchdünnen Schicht Gold überzogen. Ihr seht, so wertvoll ist sie nicht.«
Pater Leonhard hatte die Mariengestalt schon in die Hand genommen und betrachtete sie nun sehr genau und mit steigendem Misstrauen. Es war eine sitzende Frauenfigur, die auf ihrem Schoß den Knaben mit einer Hand umfasste. In der anderen hielt sie ein Kreuz, das oben in einen Henkel auslief. Über dem Kopf war ein seltsamer Heiligenschein angebracht - eine glänzende runde Scheibe, die von zwei Hörnern gehalten wurde. In die Scheibe war ein Kreuz mit einem Strahlenkranz eingeritzt.
»Das ist eine heidnische Statue!«, fuhr Pater Leonhard plötzlich auf. »Ihr betet einen Götzen an!«
»Nein, Pater Leonhard, es ist Maria, des Himmels Königin. Sie ist geweiht durch einen Priester.«
»Wer könnte eine solche Figur heiligen?«
»Pater Ivo. Und er hat mir geraten, sollte
Weitere Kostenlose Bücher