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Die elfte Jungfrau

Titel: Die elfte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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unähnlich. Almut vermutete, sie müsse seine kleine Schwester sein.
    »Still, Susi!«, fuhr Pitter sie an.
    »Aber warum denn? Die Gänse-Ursel war doch deine Freundin! Zumindest hast du sie angehimmelt. Obwohl ihr Mundwerk den Schnäbeln ihrer Gänse in nichts nachstand. Und es ist so traurig, dass sie gestorben ist!«
    Ein Todesfall war für die Zuhörer noch interessanter als Pitters Liebesleben, und Susi genoss die Schilderung, wie sie die Gänsemagd im vergangenen Herbst ertrunken im Teich gefunden hatte.
    »Gleich hier, hinter dem ›Adler‹, ist es gewesen. Sie ist am Ufer ausgerutscht und hat sich den Hals gebrochen. Dabei war sie so ein gutmütiges Mädchen, nur ein bisschen doof!«
    »Darum hat sie ja den Pitter auch...«
    Was immer die Fidgin sagen wollte, ging in einem unartikulierten Laut unter. Bertram hatte die Augen verdreht, seine Arme ruderten in wilden Zuckungen um sich, und mit seltsam eckigen Schritten strebte er auf Almut zu.
    Einen Moment lang hatte sie den Eindruck, er wolle sie umrempeln, doch dann erkannte sie, was geschehen war.
    »Simon!«, rief sie laut, und ihre Stimme, von Kindheit an darin geübt, Steinmetze und Bauarbeiter zu übertönen, durchdrang mühelos das Gelärme der Feier.
    Der Schmied reagierte schnell, doch er musste erst hinter der Theke hervorkommen. Pater Ivo war an Almuts Seite, als der Junge stürzte. Es gelang ihr, ihn aufzufangen und langsam zu Boden gleiten zu lassen, ohne dass er sich den Kopf verletzte, aber seine umherschlagenden Arme bekam sie nicht in den Griff. Der Pater hingegen schaffte es, Bertrams Oberkörper niederzudrücken und ihn daran zu hindern, mit dem Kopf gegen die Tischbeine zu schlagen. Simon übernahm auf Almuts knappen Befehl seine strampelnden Beine, aber es bedurfte der Kraft zweier starker Männer, um den Kranken festzuhalten. Lena fiel ebenfalls neben Almut auf die Knie nieder. Schluchzend versuchte sie, ihrem Sohn ein kleines Amulett auf die Stirn zu drücken, und flehte den heiligen Valentin um Hilfe und Beistand an. Den übrigen Gästen schien der Anfall ein spektakulärer Höhepunkt der Feier zu sein, sie bildeten einen Ring um ihn und kommentierten jedes Zucken seiner Glieder.
    »Wirtin, schafft die Leute hier fort!«, donnerte Pater Ivo, als er das bemerkte, und Franziska hatte den guten Einfall, die Musiker aus der Menge zu zerren und ihnen den Auftrag zu geben, am anderen Ende des Schankraumes ein lautes, anzügliches Lied zum Besten zu geben. Da Bertram nun ruhiger geworden war, schien die neue Attraktion spannender, und bald waren die vier Helfer unter sich.
    »Habt Ihr ein Bett in einem Eurer Gasträume für ihn, Simon?«, wollte Almut wissen.
    »Ja, natürlich. Wartet, Frau Lena. Ich trage ihn nach oben. Er scheint jetzt zu schlafen.«
    »Ja, nach einem solchen Anfall versinkt er immer in tiefe Bewusstlosigkeit, und hinterher kann er sich an nichts mehr erinnern.«
    Sie wischte sich resolut die tränennassen Wangen mit dem Rockzipfel ab und folgte dem Schmied, der, den Jungen auf den Armen, zur Stiege ging.
    »Ihm wart Ihr zum zweiten Mal die barmherzige Samariterin, Begine!«, meinte Pater Ivo unerwartet sanft, erhob sich vom Boden und reichte Almut die Hand, um ihr ebenfalls aufzuhelfen.
    »Armer Junge. Ich hoffe, Meister Krudener findet ein Linderungsmittel für ihn.«
    »Ihr habt mit dem Apotheker über diese Krankheit gesprochen? Klug getan.«
    »Möglich. Aber auch er weiß kein Heilmittel. Er meint, man müsse es beobachten. Bestimmte Dinge lösen diese Anfälle auf. Ist Euch etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
    »Nein, Begine. Ihr wart viel näher bei ihm.«
    Almut schüttelte den Kopf.
    »Es war alles völlig normal. Sie haben Pitter geneckt, und seine kleine Schwester hat ihn in Schutz genommen.«
    »Seine Mutter wird ein Auge auf ihn haben. Kommt wieder an Euren Platz, Begine, und genießt die Feier.«
    »Ihr meint, es ist ›für den Menschen besser, dass er esse und trinke und seine Seele guter Dinge sei bei seinen Mühen?‹«
    »Ein sinnreiches Buch, das des Predigers, nicht wahr? Findet Ihr es eigentlich bekömmlich, es zu studieren, Begine?«
    Pater Ivo hatte Almut an den Honoratiorentisch zurückgeleitet, auf dem jetzt Körbe mit süßem Gebäck standen.
    »Weit weniger bekömmlich als diese süßen Wecken, Pater. Aber es regt mich zum Denken an. Bislang, muss ich sagen, beschlich mich der Eindruck, dieser Prediger müsse eine sehr grämliche Auffassung vom Leben gehabt haben. Nichts bedeutet ihm wirklich

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