Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die elfte Jungfrau

Titel: Die elfte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
irgendjemand Zweifel an der Heiligkeit dieser Marienstatue haben, möge er sich an ihn wenden.«
    »Mir scheint, ich muss diesem Benediktiner dringend einen Besuch abstatten.«
    Mit einer harten Bewegung stellte er die kleine Bronzefigur auf das Tischchen zurück.
    »Seid sanft mit der Mutter der Barmherzigkeit!«, mahnte Almut ihn. »Ich bete jeden Abend zu ihr, und sie ist mir ein Trost in schweren Stunden gewesen. In denen Ihr, Pater, in der Ferne weiltet!«
    Pater Leonhard besann sich wieder auf seine seelsorgerische Tätigkeit und nickte besänftigt. Mit den passenden Worten wählte er eine milde Bußübung für sein Beichtkind und erteilte ihr dann die Absolution.
    Almut wollte sich von den Knien erheben, als er aufstand, doch war ihr ein Fuß eingeschlafen, und so strauchelte sie etwas. Pater Leonhard war sofort zur Stelle und umfasste ihre Taille, um sie zu stützen. Mit Verblüffung bemerkte Almut, dass er es länger und fester tat, als es notwendig oder gar schicklich schien. Vorsichtig machte sie sich los und schloss mit Nachdruck die Tür hinter ihm zu.
     
    »Ave Maria, du edler Rosengarten, lilienweiß und ohne Schaden …«, flüsterte Almut und hielt liebevoll die kleine Statue in ihren Händen. Dann stellte sie sie ganz vorsichtig wieder auf ihren Platz am Fenster und streichelte über das kühle Metall. »Warum mag ich es nicht, wenn ein anderer, und sei es auch ein Priester, dich berührt, du reine Jungfrau? Aber nun gut, ich werde jetzt die Gebete sprechen, die er mir aufgetragen hat, um meine Sünden zu büßen. Aber, ehrlich gesagt, Königin im Himmelsreich, mich will die wahre Reue nicht ankommen. Es gibt Taten, für die ich mich schäme, es gibt Worte, die mir leidtun, und heimliche Gedanken, die wahrscheinlich unsittlich sind. Können fünfzig Paternoster mein schlechtes Gewissen davon reinigen?«
    Maria, das lichtvolle Herz, schimmerte im Sonnenschein, und ihr Lächeln wirkte verständnisvoll. Geduldig lauschte sie der fünfzigfachen Litanei des Vaterunsers, aber Almut schien es, als flöge sie dabei ein Hauch von Langeweile an.
    »Nun ist der Buße Genüge getan, heilige Herrin, Gottesmutter, und ich will für die bitten und beten, die mir am Herzen liegen. Für jene verlassenen Seelen, deren Gebeine in den dunklen Katakomben liegen, bitte für sie. Für Meister Krudener, der ein schreckliches Schicksal überwunden hat, bitte für ihn. Für meinen Vater, dem ich keine Freude bin, bitte für ihn. Für meine Schwester, die von Liebesleid bedrückt ist, bitte für sie. Für den kranken Jungen, den die Krämpfe quälen, bitte für ihn. Für seine Mutter, die sich um ihn sorgt, bitte für sie. Für Franziska und Simon, die morgen die Ehe schließen werden, bitte für sie!«
    Es gab noch viele, die sie Maria ans Herz legen wollte, aber plötzlich fiel ihr wieder die schreckliche Nachricht ein, die Bela vor zwei Tagen mitgebracht hatte.
    »Die arme Stiftsjungfer mit den Hasenzähnen, bitte für sie! Hm, ja, die Jungfrauen. Maria, da will sich ein Knötchen nicht lösen. Es ist wie diese schrecklichen Fäden beim Bortenweben. Ich habe dir von Rigmundis’ Vision berichtet, und wenn ich ehrlich zu mir bin, muss ich mir doch eingestehen, sie beunruhigt mich. Auch wenn ich Magda gegenüber behauptet habe, sie sei harmlos. Was, wenn sie, wie ihre Gesichte zuvor, doch eine ernsthafte Warnung enthält? Eine Warnung an elf Jungfrauen, sieben davon schon tot? Hat es etwas mit den Gebeinen bei Meister Krudener zu tun? Oder mit dem Hasenzähnchen?«
    Nachdenklich starrte Almut die Statue an, und mit einem Mal schien es ihr, als ob sich deren Mund zu einem lautlosen Schrei öffnete. Sie blinzelte verwirrt, doch das goldene Antlitz war unverändert und sein sanftes Lächeln milde und freundlich. Dennoch!
    »Was hat sie gesehen - der tonlose Hilferuf, der ungehört verhallt?«
    Almut schloss die Augen, und nun war das Bild, das sie sah, ein gänzlich anderes. Trine, mit Sanna herumbalgend, eine hilfesuchende Geste machend.
    »Trine! Heilige Mutter, ist Trine in Gefahr? Sie ist kein Kind mehr, sie ist vierzehn Jahre alt und eine junge Frau geworden. Eine Jungfrau. So wie die Stiftsjungfer. Wie auch Sanna. Und wie unsere Schülerinnen. O mein Gott, Maria, was hat Rigmundis gesehen?«
    Eine Wolke zog vorüber und nahm den Glanz des Lichtes aus dem Viereck des Fensters. Maria schien plötzlich einen Ausdruck von ernsthafter Eindringlichkeit zu besitzen.
    »Ich werde sie warnen müssen. Ein Bräutigam, sagte

Weitere Kostenlose Bücher