Die elfte Jungfrau
an die Mädchen, von denen die Schülerinnen letzthin gesprochen hatten. Das Milchmädchen Sibill, das von den Fahrenden umgebracht worden war, und die andere, die ins Wasser gegangen war. Als ihr Blick auf Bertram fiel, zählte sie auch noch die Zöllnerstochter dazu, die er tot an der Stadtmauer gefunden und deren Anblick seinen ersten Anfall ausgelöst hatte. Fünf Jungfrauen, von denen sie wusste. Nein, sogar sechs, denn die Gisela Schiderich, die ihre Stiefmutter erwähnt hatte, konnte man wohl auch dazu zählen.
»Von sieben hat Rigmundis gesprochen. Sieben. Wer noch?«, flüsterte sie vor sich hin. Aber dann versuchte sie sich zu beruhigen. Es kamen immer mal wieder Menschen ums Leben, auch Jungfrauen. Unfälle, Krankheiten, sogar Selbstmorde. In Köln lebten schließlich über dreißigtausend Menschen. Was immer Rigmundis gesehen hatte, konnte zwar einen Kern von Wahrheit haben, aber es musste nicht sie oder Menschen in ihrem Umfeld betreffen.
»Aber Trine...«, summte es in ihrem Hinterkopf.
Almut räumte die Handarbeit zusammen und schaute aus dem Fenster. Ja, sie wollte so bald wie möglich mit Trine sprechen. Über mancherlei Gefahren, die einer hübschen Jungfer drohten.
Magda hörte sich gelassen Almuts Wunsch an und nickte dazu.
»Sicher, das solltest du tun. Ich schlage vor, wir laden sie am Donnerstag zu unserem Essen ein. Dann kannst du sie zwischendurch mit in deine Kammer nehmen und mit ihr in Ruhe sprechen.«
»Eine gute Idee. Übrigens habe ich eben von Bertram erfahren, dass der Claas Schreinemaker der Bruder unserer Pastetenbäckerin ist.«
»Ah, das trifft sich. Wir werden, wenn es zur Non schlägt, jenen Reliquienhändler aufsuchen, den deine Schwester empfohlen hat. Ich habe ihm unser Kommen angekündigt. Halte dich also um diese Zeit bereit.«
Diese Form der Ablenkung von der langweiligen Flickarbeit und ihren beklemmenden Gedanken war Almut hochwillkommen, und als sie über den Hof ging, machte sie kurz vor dem Brunnen eine plötzliche Wendung, um zur Pforte zu eilen.
»Ich besuche Frau Lena für eine Weile, Bela.«
»Hast du bis in deine Kammer die süßen Wecken gerochen, die sie backt?«
»Nein. Tut sie das?«
»Na, dann riech mal! Gertrud ist auch bei ihr drüben.«
Tatsächlich lag in der feuchtkalten Luft ein köstlicher Duft von süßem Hefegebäck. Es war ein zusätzlicher Anreiz, die Pastetenbäckerin aufzusuchen.
Sie und die Köchin der Beginen standen einmütig an dem mehlbestäubten Tisch und kneteten Teig, als Almut eintrat. Auf den Borden stapelten sich knusprige braune Brotlaibe, und in den Körben häuften sich herzhafte und süße Pasteten.
»Ich grüße Euch, Frau Lena. Morgen seid Ihr von unserer Gertrud wieder befreit, dann kann sie ihren eigenen Backofen in Betrieb nehmen.«
»Ach ja, auf einmal? Freitag hieß es noch, ich müsse mich gedulden!«, murrte Gertrud und klatschte einen zähen Teigballen auf den Tisch.
»Ja, bis Dienstag. Das Essen für den fetten Donnerstag kannst du wieder in deinem eigenen Reich richten!«
»Ah, ein schöner Festtag!«, warf auch Lena ein. »Ich werde Schmalzgebackenes herstellen. Mutzenmandeln und Krapfen.«
»Ich werde einen Krustenbraten machen und eine Rehkeule. Hat mir die Franziska versprochen. Und Weißkohl mit Schweinespeck. Danach - nun ja, auch die Fastenzeit hat ihre Möglichkeiten. Aber der fette Donnerstag...«
»Ja, auch in der Fastenzeit kann man Delikatessen zubereiten. Ich werde Pasteten mit geräuchertem Lachs und Kräutern füllen. Mag zwar ein Arme-Leute-Essen sein, aber es schmeckt und sättigt. Und pfeffrige Teigtaschen mit eingelegten Rübchen. Oder mit eingelegtem Kohl. Und natürlich Aalpasteten. Ja, sicher, Aalpasteten mit Krebsen.«
Almut linste zu den süßen Wecken hin, und Frau Lena unterbrach ihre Ausführungen.
»Nehmt nur, Frau Almut. Nehmt nur. Bei mir habt Ihr immer einen Wecken gut, so wie Ihr Euch um meinen Jungen kümmert.«
»Danke. Es geht ihm wieder gut, nicht wahr? Er war heute eifrig im Unterricht.«
»Dafür kann man dankbar sein. Die Anfälle gehen rasch vorüber und hinterlassen keine Nachwirkungen. Aber er hätte sich böse verletzen können, der Dummkopf. Ich habe ihm doch befohlen, die Mütze nicht abzunehmen. Aber er wollte ja nicht hören. Ihr und der Pater und der Schmied habt ihn vor sich selbst beschützt.«
Almut unterbrach die Lobeshymnen und meinte: »Bertram hat eben erzählt, der Claas Schreinemaker sei Euer Bruder, Frau Lena. Meint Ihr, er würde
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