Die elfte Jungfrau
Spöttelei heimzuzahlen, mit der ich dich je aus der Fassung bringen wollte. Ist unserem Vater der Geist der Erleuchtung erschienen?«
»Nein, nur Pater Leonhard, der ihm meine Keuschheit pries.«
Aziza kicherte.
»Ein nützlicher Mann, dieser Pfarrer.«
Almut erkannte die Sinnhaftigkeit dieser Feststellung und stimmte in ihre Heiterkeit ein. Dann aber wurde Aziza wieder ernst.
»Du würdest also seine Geliebte werden und als seine Konkubine leben wollen? Es ist nicht unüblich, aber ich weiß nicht, ob es dir ansteht, Almut«, meinte sie. »Bei mir ist es anders. Ich bin eine Uneheliche, der Bastard einer stadtbekannten Buhle. Mir sieht man es nach, wenn ich mich nicht nach den frommen Regeln der besseren Leute richte. Ich verleihe mein Geld, ich trage meine Haare unbedeckt, besuche alleine Schenken und Badestuben, ich habe dann und wann Liebhaber, und ich nehme ohne Skrupel Geschenke von ihnen an. Aber du bist anders erzogen, Schwester. Bist du sicher, ein solches Leben führen zu können?« Sie schüttelte nachdenklich den Kopf. »Es spricht nichts dagegen, wenn du seinem und deinem Begehren einmal nachgibst. Aber wer sagt dir, dass euer beider Verlangen von Dauer ist?«
»Ich fühle... Aziza, bei mir ist es mehr als nur Verlangen.«
»Wie entsetzlich - du bist verliebt!«
»Vielleicht sogar mehr als das.«
»Noch schlimmer.«
Almut nickte nur und schwieg lange Zeit.
Es war Aziza, die dann schließlich sprach: »Ich war leichtfertig mit meinen Worten, Almut. Er ist ein ehrenhafter Mann. Es wird schwer sein, ihn zur Sünde zu verleiten. Aber ob er je die Möglichkeit hat...«
»Es scheint sich eine Möglichkeit zu ergeben. Vielleicht.«
»Dann wirst du weder meinen Rat noch meine Hilfe benötigen, Schwester.«
Sie legte den Arm um Almut, und diese begann zu weinen.
»Aber, aber! Du hast wenig gegessen, und ich habe dir zu schweren Wein eingeschenkt. Und manchmal kann eine neue Hoffnung dem Herzen Schlimmeres antun als eine vergebliche.«
19. Kapitel
S anna hatte zunächst gezögert, ob sie die Einladung wirklich annehmen sollte. Aber dann hatte Rosi, die Magd, sich so lange an dem Stand mit den bunten Bändern aufgehalten und sich in den farbigen Putz vertieft. Die Gelegenheit erschien ihr günstig, sie im Gewimmel auf dem Markt zu verlieren. Für eine kleine Weile wollte sie ihren Freund aufsuchen.
Ganz so einfach, wie sie gedacht hatte, war es jedoch nicht, zu seiner Wohnung zu gelangen. Zwar hatte sie Rosi abgeschüttelt, doch heftete sich ein junger Verehrer kurz darauf an ihre Fersen und bot an, sie zu begleiten, da sie so offensichtlich alleine durch die Straßen eilte. Sie flunkerte ihm erfolgreich etwas vor und schüttelte ihn im Gewimmel des Rheinufers ab. Danach wich sie einer weiteren bekannten Gestalt auf die andere Straßenseite aus und wäre dabei fast in die Arme von zwei grau gewandeten Beginen gelaufen. Auch ihnen entschlüpfte sie erfolgreich und setzte ihren Weg dann zielstrebig fort.
Vorfreude hatte sie gepackt, als sie endlich vor seiner Tür stand. Er hatte eine so nette Art, mit ihr zu sprechen, und ihn schien die schiefe Nase überhaupt nicht zu stören. Die junge Parlerstochter hielt sich nicht für schön, und darum taten ihr die sanften Schmeicheleien so gut, die er zu ihren blonden Haaren und ihrer weichen rosigen Haut zu sagen hatte. Sie waren nicht plump, sondern wirkten so aufrichtig, wenn er Vergleiche zu gesponnenen Goldfäden und kostbaren, sonnenreifen Pfirsichen anstellte. Selbstverständlich hatte sie ihm dann erlaubt, ihr die Haube abzunehmen und ihr über die weichen Wangen zu streichen. Schließlich hatte sie auf seinen bewundernden Blick hin auch seinem Wunsch nachgegeben, die Flechtkrone zu lösen und die Haare offen über ihren Rücken fallen zu lassen. Warum hätte sie sich dann wehren sollen, als er ihr Gesicht in beide Hände nahm und zärtliche Worte der Bewunderung stammelte. Seine Augen waren bittend, voll Verlangen, und seine Lippen so zärtlich.
Die Stunde, die sie sich bewilligt hatte, war im Nu verstrichen. Auch die zweite ging vorüber, und zur Vesper hatte sie jedes Gefühl für Zeit verloren. Kosend und lockend hatte er sie überredet, ihm mehr und mehr Freiheiten zu gestatten, und nun hielt er sie in seinen Armen. Warm und beschützt fühlte sie sich, und ob ihr Verhalten nun Sünde war oder nicht, das war ihr inzwischen gänzlich gleichgültig geworden. Sie war an seiner Seite glückstrunken eingeschlummert und erst aufgewacht, als ein
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