Die elfte Jungfrau
Ihr werdet doch auf solch törichtes Geschwätz nichts geben.«
Elsa warf Almut einen verdutzten Blick zu, der andeutete, dass sie derart milde Worte von ihr nicht gewohnt war. Dennoch nickte sie dazu und bestätigte auch noch einmal, sie hielte den Apotheker für einen höchst achtbaren Kollegen.
»Je nun, Ihr seid gute Frauen, Ihr Beginen. Und klug zudem«, lenkte die Hökerin ein. »Schon möglich, dass ein paar Dummköpfe wie die Mausfallenkrämerin und die Kerzenzieherin vom Alten Markt sich gerne etwas einreden. Ahhh, tut der Umschlag gut, Frau Elsa. Ich werd’ ja ein ganz neuer Mensch.«
»Noch neuer werdet Ihr, wenn Ihr dazu diese Arznei auch innerlich anwendet.« Mit einem Lächeln füllte Elsa einen Becher mit dem restlichen Bier. »Das hat unsere Trine nach ihrem eigenen Rezept gebraut. Versucht es einmal.«
Nach den ersten Schlucken war die Hökerin geneigt, Meister Krudener dieselbe Achtung entgegenzubringen wie dem Erzbischof selbst. Sie hätte sicher auch in den nächsten Tagen jene schwatzhaften Weiber mit Vergnügen eines Besseren belehrt, wäre nicht ausgerechnet in diesem Augenblick Pitter in das Häuschen der Apothekerin gestürmt.
»Frau Almut, sie sagen, Ihr wäret hier«, schnaufte er und wischte sich über sein vom Laufen gerötetes Gesicht.
»Bin ich, Pitter, wie du siehst. Es muss ja etwas ungemein Wichtiges sein, dass du so die Beine in die Hand genommen hast. Was ist passiert?«
»Die Parlerstochter, Frau Almut.«
»Was ist mit Sanna? Hast du sie gefunden?«
»Nicht ich. Der Johan von der Clingelmanns Pütze hat sie gefunden. In der Krebsgasse, hinter dem Neuen Markt.«
Elsa und Almut riefen beide gleichzeitig: »Pitter!«
»Unter einem Haufen Lumpen. Ja, Frau Almut. Sie... sie hat sich das Genick gebrochen.«
Almut hatte das Gefühl, als klammere sich eine eiskalte Hand um ihren Magen. Zugleich bemerkte die Hökerin trocken: »Das Haus des Apothekers, den Ihr so schätzt, grenzt hinten an die Krebsgasse, nicht wahr?«
»Hast du ihrem Bruder schon Bescheid gegeben, Pitter?«, fragte Almut heiser.
»Ja. Und er bat, ich solle Euch rufen. Der Mutter geht es nicht gut. Wenn Ihr eine Arznei für sie hättet?«
»Ich gebe dir das Fingerkraut mit, Almut. Bertram wird eben noch ein, zwei Tage darauf warten müssen.«
Ohne sich weiter um die wissend nickende Elspeth zu kümmern, eilte Almut in ihre Kammer, um ihren warmen Umhang zu holen. Kurz darauf war sie mit dem Päckelchesträger unterwegs.
»Erzähl, Pitter, was ist passiert?«
»Na, ich hab’ doch versprochen, nach dem Alfi zu fragen. Das hab’ ich gestern noch gemacht. Er hat die Sanna auf dem Markt gesehen, und sie hat ihm erzählt, sie wollte zur Haubenmacherin. Vor deren Laden hat sie ihn stehen lassen. Mehr weiß ich auch nicht. Aber... Frau Almut?«
»Ja, Pitter?«
»Es gibt Gemunkel!«
»Über den Apotheker. Habe ich auch gehört.«
»Wat ene Quatsch. Aber ich hab’ auch nachgedacht. Irgendwas stimmt nicht. Ich hör’ viel in den Gassen. Und denke manchmal nach. Aber darauf hat mich die Susi gebracht. Wegen der Gänse-Ursel nämlich. Wisst Ihr, es sind jetzt schon ihrer fünf, Frau Almut.«
Almut blieb überrascht stehen.
»Ihrer fünf?«
»Na, die Gisela Schiderich, die Sibill, die Gänse-Ursel...« Pitter schluckte trocken und fuhr dann fort: »Die Stiftsjungfer von Sankt Ursula und jetzt die Sanna.«
»Ja, das sind fünf Jungfern, die gestorben sind.«
»Die sich den Hals gebrochen haben.«
»Die Gisela ist doch erfroren, heißt es.«
»Nachdem sie auf einer zugefrorenen Pfütze ausgerutscht ist und sich den Hals gebrochen hat. So hat’s zumindest der Job gesagt.«
Almut setzte sich wieder in Bewegung und schwieg eine Weile. Sie überlegte, ob sie mit dem Jungen auch über die anderen Fälle reden sollte. Ihre Sorge um Trine hatte inzwischen beinahe unerträgliche Ausmaße angenommen. Der Päckelchesträger hatte wahrhaft sein Ohr in allen Winkeln und Windungen der Gassen. Er wusste viel und kannte auch die seltsamsten Gestalten. Sie kam zu dem Schluss, dass es richtig wäre, mit ihm darüber zu sprechen.
»Es sind ihrer noch drei mehr, Pitter.«
»Au weh. Wer?«
»Die Maike, die der Bertram an der Stadtmauer gefunden hat, die Buchmalerin Christine und die Marie. Aber die ist vielleicht wirklich ins Wasser gegangen.«
»Vielleicht. Als sie sie rausgefischt haben, war nicht mehr viel von ihr übrig. Aber die Christine? Wer ist das?«
»Die Buchmalerin, die Nachbarin des Reliquienhändlers.
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