Die elfte Jungfrau
lautes Klopfen an der Haustür ertönte.
»Ich bin heute für niemanden zu Hause«, hatte ihr Geliebter gemurmelt und sie mit weiteren Zärtlichkeiten überhäuft.
Erst als er aufstand und die Kerzen entzündete, wurde Sanna mit Entsetzen klar, dass man sich bestimmt um sie sorgen würde, da sie selbst nach Einbruch der Dunkelheit noch nicht nach Hause gekommen war. Doch als sie ihm ihre Bedenken schilderte, beruhigte er sie mit sanften Worten. Er wolle sie zu ihrer Freundin in der Apotheke bringen, und sie solle ihren Eltern erklären, sie habe den Nachmittag und Abend bei Trine verbracht. Das taubstumme Mädchen würde so genau nicht Auskunft geben können, wann und wo sie einander getroffen hatten, erklärte er ihr. Etwas widerstrebend stimmte Sanna zu, und bald darauf waren sie gemeinsam auf den dunkler werdenden Straßen unterwegs in Richtung Neuer Markt.
Doch Sanna bekam keine Möglichkeit mehr, sich mit Meister Krudeners Gehilfin eine Ausrede einfallen zu lassen. In der abgelegenen, finsteren Gasse, die sich hinter dem Haus des Apothekers erstreckte, fand sie ihr Ende in einer letzten leidenschaftlichen, tödlichen Umarmung.
20. Kapitel
D u bist kribbeliger als ein ganzer Ameisenhaufen, Almut!«, seufzte Elsa und goss vorsichtig den Inhalt eines Tonkruges durch ein dünnes Leinentuch. »Hör endlich auf, an diesen Blättern zu zupfen, es ist schon mehr, als ich gebrauchen kann.«
Almuts unruhige Finger entfernten noch einige letzte trockene Blättchen von einem Stängel Ysop und betrachtete das Häuflein in der Schale vor sich. Dann schweifte ihr Blick zum Fenster, wo die kalten Regentropfen ihre Bahnen zogen.
»So ein Mistwetter!«, murrte sie vor sich hin. »Und die Steine sind auch noch nicht geliefert worden.«
»Du kannst doch bei dem Regen sowieso nicht weiterbauen. Also, hier ist der Mörser, verarbeite die Blätter zu einem feinen Pulver.«
Almut nickte und griff zum Stößel, um diese Aufgabe auszuführen. Mit energischen Bewegungen hatte sie in kürzester Zeit die trockenen Pflanzenteile zerstoßen und sah sich nach weiteren Beschäftigungen um. Elsa schüttelte den Kopf, als sie den feinen Puder betrachtete, den sie erzeugt hatte.
»Ich werde dir getrocknete Baldrianwurzeln geben, daran kannst du deine Unruhe auslassen!«
»Hm.«
»Wir brauchen sie, um Bertrams Elixier herzustellen. Dir sollte man auch ein paar Tropfen davon verabreichen. Das ist ja nicht auszuhalten, wie du hier herumzappelst. Erst war die schwarze Galle in dir übermächtig, jetzt ist es die gelbe.«
»Findest du?«
Elsa rührte den Auszug um, den sie hergestellt hatte, und schnupperte vorsichtig daran.
»Finde ich. Deine Melancholie umhüllte dich bisher wie eine düstere Wolke. Jetzt hat sie sich gelichtet. Hast du etwas zu dir genommen, das die heißen Säfte in dir belebt hat?«
»Wahrscheinlich liegt es an den pfeffrigen Schweinefleisch-Pasteten von Lena«, meinte Almut gespielt gleichgültig. Ihre Unruhe, das wusste sie ganz genau, rührte nicht vom Essen her, sondern von den erstaunlichen Erkenntnissen der letzten zwei Tage. Aber darüber wollte sie mit der Apothekerin nicht sprechen.
»Ja, Pfeffer heizt der Galle ein.« Sie reichte Almut die zähen getrockneten Wurzeln und ein scharfes Messer. »Schneide sie klein und dann versuche, sie so fein wie möglich im Mörser zu zerreiben. Es ist Knochenarbeit. Aber das brauchst du jetzt.«
Dann nahm sie einen kleinen silbernen Messbecher und füllte in ihn eine geringe Menge der Flüssigkeit, die sie soeben abgeseiht hatte.
»Trink das, Almut. Es ist Fingerkraut, in Wein eingelegt. Es schmeckt nicht schlecht und lindert die Unruhe.«
Gehorsam trank Almut den Schluck Arznei und rümpfte die Nase.
»Na ja, nicht gerade schlecht. Aber ein Genuss ist es auch nicht. Ist das auch für Bertram?«
»Ja, er sollte täglich einen Becher davon trinken, meinte dieser Krudener. Aus dem Baldrian werden wir ihm eine hochkonzentrierte Tinktur herstellen, damit er nur wenige Tropfen einnehmen muss, wenn sich wieder ein Anfall ankündigt. Der Apotheker ist so weit ganz vernünftig. Aber seine Haltung zu den Amuletten finde ich nicht richtig. Ein Mensch braucht nicht nur Arzneien, sondern auch den festen Glauben an die Hilfe Gottes, um gesund zu werden.«
Bevor Almut sich mit Elsa in einen Disput darüber hineinsteigern konnte, klopfte es an der Tür. Es war Elspeth, die Hökerin mit den wehen Füßen, die wieder einmal Linderung suchte.
»Kommt nur herein, Frau Elspeth, und
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