Die elfte Jungfrau
aufplusterte, um eine Schmährede zu halten.
»Halt den Schnabel!«, fuhr Krudener ihn an. Er flatterte empört, ließ zwei grüne Federchen auf Almut niedersegeln und hockte sich beleidigt auf den Kaminsims.
»Was ist es denn noch, Frau Almut? Warum seid Ihr überhaupt hergekommen?«
»Ihr seid drei Tage fort gewesen, nicht wahr?«
»Ja, Trine und ich sind erst gestern Abend zurückgekehrt. Einen sehr lehrreichen Besuch bei einem ausgezeichneten Kollegen haben wir gemacht.« Er beugte sich vor, um einen Strumpf loszunesteln und über die Wade zu rollen. Das Knie begann anzuschwellen, und Trine hielt ihm den Salbentiegel hin. »Arnika wird helfen, das ist recht, Trine. Und vielleicht noch etwas von deinem vorzüglichen Melissengeist für die Prellungen.«
»Wann seid Ihr aufgebrochen?«
»Oh, am Freitagmorgen, noch vor der Sext. Warum?«
»Hat sich die junge Steinheuerin, die Sanna, bei Euch noch sehen lassen an jenem Morgen?«
»Nein, zumindest ich habe sie nicht gesehen. Trine?«
Auch Trine verneinte.
»Geht es ihrem Vater schlechter? Ich dachte, er habe sich inzwischen ganz erholt.«
»Es ist viel schlimmer. Sanna wurde am Freitag vermisst. Sie hat auf dem Markt ihre Magd verloren oder ist ihr entschlüpft. Am kommenden Tag hat man sie tot aufgefunden, Meister Krudener. Hier, hinter Eurem Haus in der Krebsgasse.«
Der Apotheker stellte sacht den Salbentopf auf den Tisch.
»Das ist wahrlich ernst. Es ist auch wahrlich schlimm. Ein Unfall?«
»Vielleicht. Sie hat sich das Genick gebrochen.«
»Ihr habt Euch Gedanken dazu gemacht, Frau Almut.«
»Ja. Und ich bin hier, um Trine mit zu uns zu nehmen.«
Das taubstumme Mädchen fasste Almut am Arm und machte eine abwehrende Geste.
»Ich muss hierbleiben, Almut. Du siehst doch, was passieren kann.«
»Ich habe gesehen, was Sanna passiert ist.«
»Es ist schrecklich. Arme Sanna, arme Sanna!« Sie hatte Tränen in den Augen. Trotzdem bestand sie darauf, in der Apotheke zu bleiben. »Ich bin hier sicher, Almut.«
Nachdenklich betrachtete Krudener seine Gehilfin. Dann zog er seinen Strumpf wieder zurecht und begann, die lange Binde, aus der er seine Kopfbedeckung formte, ordentlich aufzuwickeln.
»Trine, ich muss ein langes Gespräch mit Frau Almut führen. Ich berichte dir später davon. Aber inzwischen bin ich sicher, Frau Bela wird dir mit dem Problem deines neuen Kittels behilflich sein. Zeig ihr die Handarbeit, die dir so viele Schwierigkeiten macht.«
Etwas trotzig wollte das Mädchen aufbegehren, aber Bela, die sich in Krudeners Gegenwart etwas unbehaglich fühlte, nickte ihm auffordernd zu.
Als die beiden in Trines Kammer verschwunden waren, wandte sich Krudener wieder an Almut.
»Ihr tragt Sorgen mit Euch, sicher nicht unbegründet. Wollt Ihr mit mir darüber sprechen?«
Almut seufzte leise.
»Ja, Sorgen habe ich. Um Euch. Um Trine. Um einige andere Mädchen. Ich fürchte, jemand in der Stadt ermordet Jungfrauen. Fast immer auf die gleiche Art.«
Sie berichtete ihm von den Fällen, die sie kannte, und er hörte ihr aufmerksam zu.
»Und nun befürchtet Ihr, man würde mir den Mord an Sanna anhängen?«
»Oder auch die anderen.«
»Dann müsste mich jemand anzeigen, nicht wahr?«
»Wie Ihr heute gesehen habt, nimmt der Pöbel gelegentlich auch selbst das Recht in die Hand.«
»Lassen wir das mal außer Acht. Wie ich Euch kenne, habt Ihr doch schon Vermutungen angestellt, wer da sein Unwesen treibt.«
»Ja, aber weit bin ich nicht gekommen. Es gibt da drei, die es sein könnten. Alfi Selmecher scheint eine Reihe von den Mädchen gekannt zu haben. Mit einigen hat er getändelt und sie dann sitzengelassen. Um ihn werden sich aber der Steinheuer und der Turmmeister kümmern. Und dann gibt es den Bruder Jakob...«
»Den bunten Jakob? Aber, Frau Almut, der Mann ist harmlos wie ein neugeborenes Kalb.«
»Das ist es ja gerade, Meister Krudener. Was, wenn der Mörder ein einnehmendes Wesen hat, harmlos wirkt und nur hin und wieder vom Irrwitz überfallen wird?«
»Hm, ja. Das gibt es. Ihr solltet Ivo danach fragen. Wenn er derartige Anfälle hat, wird man es im Kloster sicher wissen.«
»Pater Ivo ist nicht in der Stadt.«
»Nein? Ist er nicht?«
»Er ist für Abt Theodoricus unterwegs.«
»Was Euch ebenfalls nicht glücklich macht. Ich verstehe. Ihr könntet mit Theo selbst sprechen. Er hält große Stücke auf Euch.«
»Ja, aber da ist noch das Problem mit...« Almut musste trotz allem einmal leise kichern. »Bruder Jakob hat eine
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