Die elfte Jungfrau
aus, als sei er krank.«
Vorsichtig versuchte sie ihn an den Schultern hochzuheben, aber er war zwar ein alter, dennoch großer und schwerer Mann. Als sie in sein Gesicht sah, schnaufte sie bedenklich auf. Seine Lippen waren blau, sein Atem ging röchelnd. Doch nach Wein oder Bier roch er nicht.
»Klopf an Krudeners Tür, er wird uns helfen müssen!«
Aufgerichtet schien es dem Alten leichter zu fallen, Luft zu holen, darum hielt sie ihn, so gut es ging, fest. Krudener kam eilig angehumpelt und warf nur einen kurzen Blick auf den Kranken.
»Könnt Ihr mir tragen helfen? Ich bin leider ein wenig unpässlich!«
»Wir schaffen es schon.«
Bela, die kräftig war, packte zu, und Almut gelang es mit Krudeners Hilfe, den Mann vorsichtig in die Apotheke zu tragen.
»Setzt ihn in den Sessel.«
»Wäre es nicht besser, ein Lager für ihn zu richten?«
»Nein, aufrecht wird es leichter für ihn. Trine?«
Trine war schon an Krudeners Seite und begann, den Talar am Hals zu öffnen. Geschickt eilten ihre Hände unter den Stoff und blieben auf seiner Brust liegen. Mit geschlossenen Augen erfühlte sie die Ströme des Lebens, und Almut wusste aus eigener Erfahrung, dass sie damit dem Mann auch etwas von ihrer eigenen Lebenskraft übermittelte.
Krudener berührte sie sacht am Arm, und sie sah ihn an. Mit der freien Hand deutete sie auf ihr Herz und machte eine unruhige Flatterbewegung mit den Fingern.
»Ein Herzanfall, ohne Zweifel. Nun, da haben wir etwas.«
Krudener verschwand in dem Vorraum, wo er seine Arzneimittel aufbewahrte, und kam mit einem verstöpselten Töpfchen zurück.
»Roter Wein mag helfen, vor allem, wenn er mit Muskatblüten versetzt ist und einen Tropfen Maiglöckchentinktur enthält. Helft mir, ihm ein paar Löffel einzuflößen.«
Trine stellte sich sehr geschickt an, und es gelang den beiden, den Mann zum Schlucken der Flüssigkeit zu bewegen. Dann aber überließ Krudener es wieder seiner Gehilfin, ihm mit ihren heilkräftigen Händen Erleichterung zu schaffen.
»Ich werde ihm noch einen weiteren Trank brauen, aber der braucht seine Zeit. Darf ich Euch bitten, noch eine Weile bei ihm zu wachen, Frau Almut?«
»Natürlich.«
»Befreit ihn auch von engen Kleidern und Gürteln. Er braucht Luft zum Atmen.«
Bela half Almut, den Mann im Sessel weiter aufzurichten und ihm den schweren Talar auszuziehen. Darunter trug er ein gegürtetes Wams, und auch das lockerten sie ihm. Als sie ihm das schwarze Barett vom Kopf nahmen, sog er erleichtert die Luft ein, und seine Lider öffneten sich einen Spalt.
»Es wird Euch gleich besser gehen, Herr. Ihr seid in guten Händen.«
Trine hatte sich neben ihn gekniet, und ihre Fingerspitzen lagen noch immer auf seinem Herzen. Ganz langsam bewegte der Alte seinen Arm und legte seine Hände auf die ihren.
»Kind!«, hauchte er. »Gutes Kind!«
»Ja, sie ist ein gutes Kind. Aber, Herr, sie kann Euch nicht hören und nicht sprechen.«
Langsam bekam sein Blick Richtung, und er sah Almut an. Sehr mühsam und heiser flüsterte er: »Das habe ich... nicht verdient... In den Armen einer... schönen Frau zu sterben.«
»Wahrscheinlich nicht, deshalb werdet Ihr jetzt auch leben.«
Eine Andeutung eines geisterhaften Lächelns spielte um seine Lippen, die inzwischen wieder eine natürlichere Farbe angenommen hatten.
Krudener trat hinzu und musterte ihn eindringlich. Dann nickte er.
»Wir werden Euch in mein Zimmer bringen. Sprecht nicht und ruht eine Weile aus. Alles andere können wir später klären. Ich braue eine Medizin, die Euch Erleichterung und Schlaf schenken wird. Frau Almut, darf ich noch einmal um Eure Hilfe bitten?«
Es war ein mühsamer Weg, den großen Mann die Stiege hoch zu schaffen und ihn auf Krudeners Lager zu betten. Erschöpft von dieser Anstrengung, schloss er die Augen und schien in einen tiefen Schlummer zu fallen.
»Das Beste, was er jetzt tun kann«, stellte Krudener zufrieden fest. »Ich werde heute Nacht bei ihm wachen. Morgen werden wir erfahren, wer er ist, und eine Nachricht an seine Familie schicken.«
Almut betrachtete den Schlafenden und hatte plötzlich eine Eingebung. Es war etwas in den Zügen des Alten, das ihr vertraut vorkam, jetzt, da sein Gesicht entspannt war. Er trug sein schneeweißes Haar kurzgeschnitten, und ein üppiger Bart bedeckte seine Wangen und sein Kinn. Doch waren darin noch Spuren von Grau zu entdecken, die sich rechts und links am Mund hinunterzogen. Auch seine Brauen waren noch dunkel.
»Ich glaube, ich
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