Die elfte Jungfrau
Das Leben ohne sie war ihm zu beschwerlich geworden. Er entschlummerte sanft, Frau Magda, ich war in seinen letzten Stunden bei ihm. Mir hat er nun all seine Habe vermacht. Das ist eine große Ehre für mich. Denn darunter sind auch Bilder, die er einst gemalt hat, und etliche seiner so überaus begabten Tochter. Ach, welch ein Verlust, dass sie nicht mehr unter uns weilen.«
Esteban war aufrichtig traurig, und sowohl Almut als auch Magda fanden tröstende Worte für ihn. Dann legte er ihnen eine Mappe mit verschiedenen Zeichnungen vor.
»Ich habe sie noch nicht im Einzelnen durchgesehen. Manche sind nicht ganz fertig, andere sind wohl nur Versuche. Aber einige Bilder könnten Euch gefallen.«
Almut und Magda öffneten die Mappe und studierten den Inhalt eingehend. Sie fanden mehrere Entwürfe zu Bildern eines Stundenbuches, Skizzen zu der in Köln so beliebten Ursulalegende, einige waren fertige Andachtsbilder, andere kleine Studien von Gesichtern, Blumen und Rankwerk oder auch Faltenwürfe von Gewändern.
»Sie hat Fabio gemalt! Esteban, seht!«
Almut reichte dem Reliquienhändler eine kleine Skizze, und er beugte sich zusammen mit seinem Sohn darüber. Beinahe andächtig betrachteten sie beide das Bildchen, und Esteban hatte plötzlich feuchte Augen.
Almut wandte sich ab und sichtete weiter die kleinen Kunstwerke. Magda hatte sich bereits in eine Anbetung durch die Heiligen Drei Könige vertieft, während sie die meisterlichen Porträts bewunderte. Alte Männer, junge Frauen, Kinder, ein zahnloses Mütterchen und ein kleiner Rotzlöffel, dem die Frechheit nur so aus den Augen strahlte.
»Oh, und hier ist der Schreinschnitzer Claas abgebildet. Und Euch hat sie ebenfalls zweimal gezeichnet, Esteban.«
»Zeigt her!«
Er wischte sich über die Augen und blinzelte ein paar Mal.
»Was für eine Künstlerin! Ich habe es nicht bemerkt, als sie mich gezeichnet hat. Ja, und das ist Claas. Sie muss es kurz vor dem Unfall gemacht haben, denn sie hat ihn erst im späten Herbst hier bei mir kennengelernt.« Nachdenklich betrachtete er die Skizze. »Er sieht so verdammt gut aus«, murmelte er dann und seufzte.
»Plagt Euch nicht damit, Esteban. Sie war Euch sicher zugetan - Euch und Fabio. Sie hat viele Menschen gezeichnet, hässliche, charaktervolle, und warum nicht auch schöne?«
Er legte den Pergamentbogen nieder und nickte.
»Ihr habt ja Recht, Frau Almut. Ich will Euch nicht weiter mit meinen Gefühlen behelligen. Wie geht es Eurer Schwester?«
»Wir kommen eben von ihr. Sie wirkte gesund und recht fröhlich.«
»Dann hat sie ihr Herzeleid wohl überwunden.«
»Zumindest für eine Weile. Sie hat einen neuen Teppich begonnen.«
»Das höre ich gerne. Fabio, du solltest sie besuchen und ihr wieder heitere Weisen vorspielen.«
»Aber ich bin nicht heiter, Vater.«
»Dann heitert sie dich vielleicht auf.«
Almut legte noch ein paar Blumenskizzen zur Seite und fragte dann, weil die Meisterin inzwischen drei Bilder vor sich ausgebreitet hatte und immer wieder das eine und das andere zur Hand nahm, den Reliquienhändler nach Claas.
»Wir haben ihn nämlich beauftragt, uns einen Schrein zu arbeiten.«
»Er ist ein ordentlicher Handwerker. Pünktlich und zuverlässig. Ich komme gut mit ihm zurecht.« Mit einem Mal grinste Esteban. »Anders als mit dem Pater, der neulich bei mir war.«
»Ein Benediktiner?«
»Ja, und es heißt, Ihr würdet ihn kennen.«
»Vermutlich. Pater Ivo war auf der Suche nach einer Ursulareliquie, Aziza schickte ihn zu Euch.«
»Pater Ivo, richtig. Ein Mann, den man nicht unterschätzen sollte. Ich machte diesen Fehler.«
»Wurde er grob?«
»Das kann ich mit Bestimmtheit behaupten. Ich mokierte mich peinlicherweise über Mönche und Reliquien gegenüber Fabio in unserer Muttersprache, die er bedauerlicherweise verstand. Für einen Geistlichen verfügt er über einen höchst ungewöhnlichen Wortschatz in der spanischen Zunge.«
»Wenn er derbe Worte verwendete, war er wahrscheinlich mehr amüsiert als verärgert«, meinte Almut mit einem Grinsen, die sich die Szene gut vorstellen konnte.
»Sollte das stimmen, hat er es gut verborgen. Immerhin, wir sind ins Geschäft gekommen, und er hat anschließend den Schreinschnitzer aufgesucht. Wie er mit dem zurechtgekommen ist, kann ich allerdings nicht sagen.«
»Ich hoffe, es sind wirklich Ursulareliquien, die Ihr ihm verkauft habt.«
»Aber selbstverständlich, Frau Almut.«
»Nun, die Fingerknöchelchen des heiligen
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