Die Elite
voller Liebreiz. Doch während May und ich charakterlich völlig verschieden waren, glichen Natalie und Lacey sich auch in diesem Punkt. Vielleicht war Lacey ein bisschen weniger launenhaft. Und sie wirkte nicht ganz so unbedarft wie ihre Schwester.
Die Königin machte die Runde, sprach mit den Müttern und stellte ihnen in ihrer überaus sympathischen Art Fragen. Als sei unser Leben genauso spannend wie das Ihre. Ich stand in einer kleinen Gruppe und lauschte Elises Mutter, die über ihre Familie in New Asia sprach, als May plötzlich an meinem Kleid zupfte und mich wegzog.
»May!«, zischte ich. »Was tust du da? Das schickt sich nicht, und schon gar nicht, wenn die Königin dabei ist!«
»Aber das musst du dir ansehen!«, beharrte sie.
Zum Glück war Silvia nicht zugegen. Sie hätte May bestimmt für ihr ungebührliches Verhalten gerügt.
Wir gingen zum Fenster, und May zeigte aufgeregt nach draußen in den Garten. »Schau mal!«
Ich spähte an den Büschen und Springbrunnen vorbei und entdeckte zwei Gestalten. Die erste war mein Vater, der etwas erklärte oder fragte und dabei mit den Händen in der Luft herumfuchtelte. Die zweite war Maxon, der schwieg und offenbar über eine Antwort nachdachte. Sie gingen mit langsamen Schritten, und ab und zu versenkte mein Vater die Hände in den Taschen oder Maxon verschränkte die seinen hinter dem Rücken. Worum es auch immer in diesem Gespräch ging, es sah aus, als wäre es wichtig.
Ich warf einen prüfenden Blick über die Schulter. Die anwesenden Frauen waren noch immer von der Geselligkeit und von der Königin selbst in Beschlag genommen. Niemand schien uns zu bemerken.
In diesem Moment blieb Maxon vor meinem Vater stehen und gab wohl etwas sehr Wichtiges von sich. Eine große Entschiedenheit lag in seiner Haltung. Nach einer Weile streckte Dad die Hand aus. Maxon lächelte und schüttelte sie eifrig. Wenig später schienen sie beide erleichtert zu sein und Dad gab Maxon einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken. Maxon wich unwillkürlich zurück. Er war es nicht gewohnt, angefasst zu werden. Doch dann legte Dad vertrauensvoll den Arm um seine Schulter – genau so, wie er es bei all seinen Kindern machte. Und das schien Maxon zu gefallen.
»Worüber haben sie wohl gesprochen?«, überlegte ich laut.
May zuckte mit den Schultern. »Es sah jedenfalls ziemlich wichtig aus.«
»Das stimmt.«
Wir blieben noch eine Weile am Fenster stehen, um herauszufinden, ob Maxon auch mit den anderen Vätern eine solche Unterredung führen würde. Doch wenn er es tat, dann nicht im Garten.
8
D ie Halloween-Party war genauso wundervoll, wie Maxon es versprochen hatte. Als ich zusammen mit May den Großen Saal betrat, war ich überwältigt von der ungeheuren Pracht, die sich vor uns entfaltete. Alles war golden. Die Ornamente an den Wänden, die glitzernden Juwelen in den Lüstern, die Gläser, die Teller, sogar das Essen – an allem war ein Hauch von Gold. Es war einfach atemberaubend.
Aus einer Stereoanlage ertönte Popmusik, doch in einer Ecke des Saals wartete außerdem eine kleine Gruppe Musiker, um die passende Musik für die traditionellen Tänze zu spielen, die wir einstudiert hatten. Überall im Saal waren Kameras aufgestellt, die Fotos oder Videoaufnahmen machten. Ohne Zweifel würde die Party der Höhepunkt des morgigen Fernsehprogramms von Illeá sein. Einen kurzen Moment lang fragte ich mich, wie es wohl sein würde, wenn ich auch zu Weihnachten noch hier wäre.
Alle trugen hinreißende Kostüme. Marlee war als Engel verkleidet und tanzte mit Officer Woodwork. Sie hatte sogar Flügel, die regelrecht hinter ihr her zu schweben schienen und aussahen, als seien sie aus irisierendem Papier gefertigt. Celestes Kleid war ziemlich kurz und bestand aus jeder Menge Federn. Die größte befand sich jedoch an ihrem Hinterkopf und machte deutlich, dass sie ein Pfau sein sollte.
Kriss und Natalie hatten offenbar ihre Kostüme aufeinander abgestimmt. Natalies Mieder war mit lauter Blüten bedeckt und ihr üppiger Rock bestand aus schwingendem blauen Tüll. Kriss’ Kleid war so golden wie der Saal und mit einander überlappenden Blättern verziert. Hätte ich raten müssen, hätte ich gesagt, sie stellten Frühling und Herbst dar. Es war eine entzückende Idee.
Elise hatte ein Seidenkleid gewählt, das ihre asiatische Abstammung zur Geltung brachte und dabei eine Überspitzung des sittsamen Stils darstellte, den sie gewöhnlich bevorzugte. Ihre üppig drapierten
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