Die Elite
Orte im Palast.« Er schmunzelte. »Deshalb habe ich ihn heute ein wenig zweckentfremdet.«
Er legte seine Hand auf einen verborgenen Riegel, und der Schrank und die Verkleidung dahinter schwangen augenblicklich nach vorne. Ich sah, wie er dem, was sich dahinter verbarg, ein Lächeln zuwarf. »Genau rechtzeitig.«
»Das würde ich mir doch nie entgehen lassen«, erwiderte eine andere Stimme.
Ich hielt den Atem an. Es war schlicht unmöglich, dass die Stimme der Person gehörte, die ich dahinter vermutete. Neugierig trat ich vor, um an dem riesigen Möbelstück und an Maxons lächelndem Gesicht vorbeizuspähen. Und da stand – in schlichter Kleidung, die Haare zu einem Knoten hochgesteckt – Marlee.
»Marlee!«, flüsterte ich überglücklich und war sicher, dass das ein Traum sein musste. »Was machst du denn hier?«
»Du hast mir so gefehlt!«, rief sie und rannte mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Dabei konnte ich deutlich die roten, schon ein wenig verheilten Striemen auf ihren Handflächen erkennen. Es war wirklich Marlee.
Sie schlang die Arme um mich und drückte mich an sich. Ich war völlig überwältigt und konnte gar nicht aufhören zu fragen, was in aller Welt sie hier machte.
Als ich mich einigermaßen beruhigt hatte, meldete sich Maxon zu Wort. »Zehn Minuten. Ich warte draußen. Sie können dann auf dem gleichen Weg zurück, auf dem Sie hergekommen sind, Marlee.«
Marlee nickte und Maxon ließ uns allein.
»Ich verstehe das nicht«, sagte ich. »Du solltest doch in den Süden gebracht werden. Und eine Acht werden. Und wo ist Carter?«
Marlee lächelte über meine Verwirrung. »Wir waren die ganze Zeit über hier. Ich habe gerade begonnen, in der Küche zu arbeiten. Carter ist noch nicht ganz wiederhergestellt, aber ich denke, er wird bald in den Stallungen anfangen können.«
»Noch nicht wiederhergestellt?« Mir schossen so viele Fragen durch den Kopf, dass ich nicht wusste, warum gerade diese aus mir heraussprudelte.
»Ja, er läuft und kann sitzen und stehen, aber jede körperliche Anstrengung fällt ihm noch schwer. Bis er sich vollkommen erholt hat, hilft er ebenfalls in der Küche aus. Aber er wird ganz sicher wieder gesund. Und schau mich an«, sagte sie gut gelaunt und streckte mir beide Hände entgegen. »Man hat uns sehr gut gepflegt. Es sieht zwar nicht hübsch aus, aber wenigstens tut es nicht mehr weh.«
Vorsichtig berührte ich die geschwollene Haut auf ihren Handflächen, ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie wirklich keine Schmerzen mehr hatte. Doch sie zuckte nicht zurück, und nach einer Weile ließ ich meine Hand in ihre gleiten. Es fühlte sich seltsam, aber gleichzeitig völlig natürlich an. Marlee war hier. Und ich hielt ihre Hand.
»Maxon hat euch also die ganze Zeit über hier im Palast versteckt?«
Sie nickte. »Nach der öffentlichen Bestrafung befürchtete er, man würde uns etwas antun, wenn wir ganz auf uns allein gestellt wären. Deshalb behielt er uns hier. Stattdessen wurde ein Geschwisterpaar, das Familie in Panama hat, dort hingeschickt. Wir tragen jetzt neue Namen, und Carter lässt sich einen Bart stehen. Nach einer Weile werden wir nicht mehr weiter auffallen. Momentan wissen nur ganz wenige Menschen, dass wir hier im Palast sind – ein paar von den Köchen, mit denen ich zusammen arbeite, eine von den Krankenschwestern und Maxon. Ich glaube, nicht einmal die Wachen wissen Bescheid, weil sie direkt dem König unterstehen. Und der wäre nicht erfreut, wenn er es herausfände.«
Marlee schüttelte den Kopf, dann sprach sie schnell weiter. »Unsere Wohnung ist sehr klein, sie hat gerade genug Platz für unser Bett und ein paar Regale. Aber wenigstens ist sie sauber. Ich versuche gerade, uns einen neuen Bettüberwurf zu nähen, aber ich bin nicht …«
»Moment mal. Unser Bett? Im Sinne von ›das Bett teilen‹?«
Sie lächelte. »Ja. Carter und ich haben vor zwei Tagen geheiratet. An dem Morgen, an dem wir die Rutenschläge erhalten haben, habe ich Maxon gesagt, wie sehr ich Carter liebe und dass er derjenige ist, den ich heiraten möchte. Und ich habe mich bei ihm entschuldigt, dass ich ihn verletzt habe. Vor zwei Tagen kam er dann zu mir und sagte, gerade fände ein großes Ereignis im Palast statt, und wenn wir wollten, wäre das eine gute Gelegenheit, um zu heiraten.«
Ich rechnete zurück. Vor zwei Tagen hatten uns die Damen der Deutschen Föderation besucht. Alle Angestellten des Palastes waren entweder damit beschäftigt gewesen,
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