Die Enden der Parabel
gegangen!" ruft Slothrop triumphierend. Erst muß er in den Baum hinein, dann weiterklettern wie auf einer Leiter. Als er sich unter dem flackernden Blätterdach befindet, kann Slothrop kaum weiter sehen als bis zum übernächsten Ast. Aber der Baum zittert, also muß der Dieb irgendwo in ihm stecken. Emsig klettert er weiter, das Laken verfängt sich und reißt, seine Haut wird von spitzen Zweigen zerstochen und von der Rinde zerkratzt. Seine Füße schmerzen. Bald geht ihm die Luft aus. Allmählich verengt sich der Kegel aus grünem Licht, es wird heller. Dicht unter dem Wipfel bemerkt Slothrop einen Einschnitt quer durch den Stamm, nimmt sich aber nicht die Zeit, darüber nachzudenken, was das bedeuten könnte, ehe er die äußerste Spitze des Baumes erreicht hat, wo er sich einhängt, hin und her schaukelt und die schöne Aussicht auf den Hafen und die Landzunge, die blaugemalte See, die Schaumkronen, die Sturmwolken am Horizont und die Köpfe der Leute genießt, die sich tief unter ihm bewegen. Nanu. Im Stamm unter sich hört er das Geräusch splitternden Holzes, fühlt seinen luftigen Sitz hier oben erzittern.
"Au, hey ..." Dieser Schleicher! Er ist den Baum hinuntergeklettert statt hinauf! Dort unten ist er jetzt und schaut zu! Sie wußten, daß Slothrop oben suchen würde und nicht unten - auf diesen verfluchten amerikanischen Reflex haben sie gebaut, daß es den Bad Guy in der Verfolgungsjagd immer nach oben zieht (wieso eigentlich?), und den Stamm haben sie angesägt, und jetzt -Sie? SIE?
"Nun", denkt sich Slothrop, "da wär's wohl höchste Zeit, meine Zelte...", und schon ist der Wipfel abgebrochen und Slothrop mit einem gewaltigen Krachen und Zischen in einem Wirbel von Ästen und Zweigen, die ihn in tausend stürzende spitze Stücke zerreißen, von Astgabel zu Astgabel prallend unterwegs
nach unten, wobei er das purpurrote Bettlaken als Fallschirm über seinen Kopf zu halten versucht. Uff. Nnghh. Auf halbem Weg, etwa in Höhe der Terrasse, erhascht er einen Blick zur Erde und bemerkt dort eine Anzahl ranghoher Offiziere in Uniform samt ihren feisten Ladies in weißen Batistkleidern und Blumenhüten. Sie spielen Krocket. Sieht ganz so aus, als würde Slothrop genau in ihrer Mitte landen. Er schließt die Augen und versucht, sich eine tropische Insel vorzustellen, ein sicheres Zimmer, wo ihm so was nicht passieren kann. Er öffnet sie erst wieder, als er auf dem Boden aufprallt. In die Stille, bevor er noch dazu kommt, Schmerz zu fühlen, klingt das typische laute tock von Holz auf Holz. Ein leuchtend gelbgestreifter Ball kommt einen Zoll vor Slothrops Nase vorbeigerollt und entschwindet wieder aus seinem Gesichtsfeld, in Sekundenabstand gefolgt von einem wahren Ausbruch an Beglückwünschung, weiblichem Enthusiasmus und dem Geräusch sich nähernder Schritte. Scheint so, als ob er sich, unnhh, seinen Rücken ein wenig verstaucht hat, jedenfalls ist ihm nicht besonders nach Bewegung zumute. Und schon verdunkelt sich der Himmel mit den Gesichtern von einem General plus Teddy Bloat, die beide neugierig auf ihn herunterglotzen.
"Es ist Slothrop", sagt Bloat, "und er trägt ein purpurrotes Laken."
"Was soll das heißen, Bursche", forscht der General, "Kostümtheater, wie?" Zwei
Damen gesellen sich dazu, die Slothrop an- oder durch ihn hindurchstrahlen.
"Mit wem sprechen Sie eigentlich, General?"
"Mit diesem Kniich in der Toga", erwidert der General, "welcher zwischen mir und meinem nächsten Tor liegt."
"Meine Güte, wie außergewöhnlich, Rowena", wendet sie sich zu ihrer Gefährtin, "siehst du hier etwa einen ?"
"Du liebes bißchen, nein, keineswegs, Jewel", antwortet munter Rowena. "Ich glaube, der General hat getrunken." Die Damen beginnen zu kichern. "Wenn der General alle Entscheidungen in diesem Zustand
träfe", ringt Jewel nach Atem, "dann, dann würden die Krauts schon längst durch den Strand marschieren!" Die beiden verfallen in einen gräßlich lauten und unangenehm langen, quietschenden Lachkrampf.
"Und du, du würdest Brunhilde heißen", beide Gesichter jetzt in stranguliertem Rosa, "statt - statt Jewel!" Sie umklammern einander um des nackten Überlebens willen. Slothrop stiert in das Schauspiel hinauf, dessen Protagonisten bereits dutzendfach Verstärkung erhalten.
"Tjaa, sehn Sie, jemand hat mir meine Kleider gemopst, und ich wollte mich gerade auf den Weg machen, der Direktion meine Beschwerde vorzutragen." "Wozu Sie ein purpurrotes Bettuch anlegten und die Abkürzung durch den
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