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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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wirkt ihr Haar wie frischer Schnee. Innen aber brennt nur eine Duftkerze, den Rest der Suite füllt das Mondlicht. Sie gießt Brandy in ein Paar alter Kristallschwenker, und als sie ihm seinen reicht, berühren sich ihre Finger. "Ich wußte gar nicht, daß Sie so scharf auf Golf sind!" Slothrop, verbindlich und romantisch.
    "Er war liebenswürdig zu mir, also auch ich zu ihm." Eine Augenbraue wölbt sich, die Stirn zieht Falten. Slothrop fragt sich, ob sein Hosenschlitz offensteht. "Aber mich ignorieren. Warum?" Klug angebracht, Slothrop - doch sie verflüchtigt sich vor seiner Frage, rematerialisiert in einem anderen Teil des Zimmers ... "Ignoriere ich Sie denn?" Sie steht am Fenster, unter und hinter ihr liegt die mitternächtliche See, deren Strömungen und Wellen von der Distanz verschleiert werden, und alles ordnet sich zur schwebenden Ruhe eines alten Bildes, das an der jenseitigen Wand der leeren Halle hängt, wo man im Schatten wartet und vergißt, warum man hier ist, und Angst kriegt vor dem Pegel des Lichts, das von demselben fahlen Mondschmiß herrührt, der auch heute seine Narbe durch das Wasser zieht... "Ich weiß es nicht. Aber Sie können einen ganz schön zum Narren halten." "Vielleicht ist es mir bestimmt, das zu tun." "So wie: ?"
    "Nein, jetzt sehen Sie mehr in mir, als ich bin." Sie gleitet zu einer Couch, zieht einen Fuß unter sich.
    "Ich weiß, Sie sind nur ein holländisches Milchmädchen oder so was. Mit nichts als gestärkten Kitteln und Holzschuhen im Schrank, oder?"
    "Sehen Sie doch nach." Der Kerzenduft zieht sich durch den Raum wie ein Nervengeflecht.
    "Okay, ich bin so frei." Er öffnet den Wandschrank und erblickt im Mondlicht, das der Spiegel reflektiert, ein Labyrinth aus Taft, Satin, Batist und Seide, aus dunklen Pelzkragen und Pelzbesätzen, aus Knöpfen, Schärpen, Posamenten, weich, weiblich und verwirrend, ein Tunnelsystem, das sich meilentief zu erstrecken scheint - eine Minute würde ihm genügen, sich hoffnungslos zu verirren ... Spitze schimmert, Ösen blinken, ein Crepe-Schal wischt ihm über das Gesicht... Aha! Moment mal! Wonach riecht's denn hier, Bruderherz? Nach Tetra nämlich, und die Fummel sind zum größten Teil Kulisse. "Ganz schön snazzy, was Sie da haben." "Wenn das ein Kompliment sein soll, dann vielen Dank." Den Dank solltest du IHNEN überlassen, Baby. "So sagen wir in Amerika."
    "Sie sind der erste Amerikaner, den ich kennenlerne." "Hmm - dann müssen Sie über Arnheim rausgekommen sein, stimmt's?"
    "Gott, sind Sie schlau."In ihrem Ton liegt eine Warnung, hier nicht nachzuhaken. Er seufzt auf, kreist mit dem Fingernagel um den Cognacschwenker. Im dunklen Zimmer, das erstarrte, stumme Meer in seinem Rücken, versucht er ein Lied:
    ZU FRÜH, UM ZU FRAGEN (FOXTROTT) Es ist viel zu früh, Noch vor den ersten Küssen, Noch ehe uns der Mond Belauscht hat in den Kissen, In einsamen Nachtstunden, Nachdem wir uns gefunden ... Noch viel zu früh, zu fragen, Ob das, was uns verstört, Mit atemlosem Zagen Denn mehr ist als ein Flirt, Der heute uns bindet Und morgen entschwindet... Wer enträtselt die Liebe, Wer ahnt ihr Geheimnis? Wir müssen's erleiden, Ohne selbst zu entscheiden ... Drum weißt du es nicht, Ob heute der Tag ist, da alles beginnt, Oder das Licht
    Im Schatten der Nacht uns zerrinnt. Darling, du kannst es nicht sagen, Denn es ist ZU FRÜH, UM ZU FRAGEN.
    Wohl wissend, was von ihr erwartet wird, verharrt sie mit leerem Gesichtsausdruck, bis er geendet hat und der einschmeichelnde Bläsersatz in der Luft verklungen ist -dann streckt sie eine Hand aus, schmilzt ihm entgegen, während er in Zeitlupe auf ihren Mund zukippt, Straußenfedern und sich aufschiebende Ärmel an ihm entlanggleiten, die mondlichtrauhen, nackt erhobenen Arme sich um seinen Rücken schließen, ihre klebrige Zunge nervös wird wie ein Nachtfalter, seine Hände über die Pailletten scharren ... dann werden ihre Brüste flach, als sie Arme und Hände von ihm löst und rückwärts nach ihrem Reißverschluß tastet, den sie mit einem knurrenden Geräusch über die Länge ihrer Wirbelsäule abwärts zieht... Katjes Haut ist weißer als das weiße Gewand, aus dem sie emportaucht. Wiedergeboren... aus dem Fenster kann er fast bis zu der Stelle sehen, wo der Oktopus zwischen den Felsen hervorgekrochen kam. Sie balanciert wie eine
    Ballerina auf den Zehenspitzen, mit langen, weich geschwungenen Schenkeln, und Slothrop hüpft höchst ungeschickt auf einem Bein, um Gürtel, Knöpfe, Schnürsenkel

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