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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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machen, als von draußen ein gräßliches Rasseln, Klirren und Splittern von Holz zu hören ist. Mädchen kommen mit allen Anzeichen des Entsetzens aus den Eukalyptushainen ins Haus gestürzt, und wer walzt hinter ihnen krachend in das fahle Licht des Gartens? - Niemand anderer als der Sherman-Tank persönlich! Scheinwerfer lodern wie die Augen von King Kong, Ketten spucken Gras und Pflastersteine, als der Koloß manövriert und stoppt. Der Turm schwenkt, bis der Lauf der 7,5-cm-Kanone direkt durch die Verandatür in den Raum hinabgerichtet ist. "Antoine!" eine junge Dame starrt wie hypnotisiert auf die gigantische Mündung, "um Himmels willen, doch nicht jetzt..." Ein Lukendeckel fliegt auf, und Tamara - soll denn nicht Italo den Panzer haben? schießt es durch Slothrops Kopf - wird kreischend sichtbar, um Raoul, Waxwing, Italo, Theophile und den Mittelsmann des Opiumgeschäfts zu beschimpfen. "Aber jetzt", gellt sie, "hab ich euch alle! Ein Coup de foudre!" Die Luke fällt, und - o Jesus - man hört das Geräusch einer dreizölligen Granate, die in den Verschlußblock geschoben wird. Mädchen beginnen zu schreien und zu den Türen zu drängen. Drogensüchtige blicken ratlos umher, blinzeln, grinsen, sagen auf die verschiedensten Weisen ja. Raoul versucht, sein Roß zu besteigen und davonzusprengen, verfehlt aber den Sattel und rutscht auf der anderen Seite wieder runter, genau in einen Kübel Schwarzmarkt-Fertigkremspeise mit Himbeergeschmack und Schlagsahne oben drauf. "Au, nein ..." Slothrop hat sich gerade entschlossen, einen Flankenangriff auf den Panzer zu starten, als YYYBLAAANNNGGG! die Kanone einen gewaltigen Brüller von sich gibt, eine Flamme einen Meter tief in den Raum schießt, eine Schockwelle die Trommelfelle mitten ins Hirn und alle Mann an die gegenüberliegende Wand pustet. Ein Vorhang hat Feuer gefangen. Slothrop tappt über Partygäste, hört überhaupt nichts mehr, weiß nur, daß ihn der Kopf schmerzt, aber hält durch den Rauch auf den Panzer zu - springt hoch, will die Luke öffnen und wird fast von Tamara abgeworfen, die aus dem Loch emportaucht, um erneut alle anzuschreien. Nach einem Handgemenge, das nicht ohne erotische Momente sein sollte, denn Tamara ist ein hübscher Fratz mit graziösen Bewegungen, gelingt es Slothrop, sie im Polizeigriff zu packen und aus dem Turm zu zerren. Trotz Knall und allem, komisch -er scheint keine Erektion zu haben. Hmm. Ein Fakt, den London nie erfuhr, weil keiner hergeschaut hat.
    Das Geschoß, so stellt sich heraus, war ein Blindgänger und hat nur Löcher in mehrere Wände gerissen sowie ein großflächiges allegorisches Gemälde von Tugend und Laster bei einem abartigen Akt demoliert. Die Tugend lächelte auf eine trübe Weise, wie durch Nebel hindurch. Das Laster kratzte sich gerade den struppigen Kopf, der Situation nicht ganz gewachsen. Der brennende Vorhang ist mit Champagner gelöscht worden. Raoul steht in Tränen, dankbar für sein Leben, wringt Slothrops Hände, küßt seine Wangen, hinterläßt Kremspeisenspuren, wo er nur hinfaßt. Tamara wird von Raouls Leibwächtern abgeführt. Slothrop hat sich gerade befreit und begonnen, den Himbeergeschmack mit Sahne vom Anzug zu wischen, da spürt er eine schwere Hand auf seiner Schulter. "Du hattest recht. Du bist der Mann."
    "Das war noch gar nichts." Errol Flynn streicht sich über seinen Schnurrbart. "Erst neulich hab ich eine Lady aus den Armen eines Kraken gerettet, wie schmeckt dir das?"
    "Da gab's 'nen kleinen Unterschied", sagt Blodgett Waxwing. "Das, was heute hier passiert ist, war wirklich. Der Krake nicht." "Woher willst du das wissen?"
    "Ich weiß 'ne ganze Menge. Nicht alles, aber ein paar Sachen, von denen du dir nichts träumen läßt. Hör gut zu, Slothrop - du wirst einen Freund brauchen, und zwar früher, als du denkst. Komm nicht in die Villa - dort könnte der Boden dann schon zu heiß sein für dich. Aber wenn du's bis nach Nizza schaffst..." Er gibt ihm eine Geschäftskarte mit einem aufgeprägten Schach-Springer und einer Adresse in der Rue Rossini. "Den Umschlag nehm ich wieder mit. Hier ist dein Anzug. Dank dir, Bruder." Und weg ist er. Er hat das Talent, sich einfach in Luft aufzulösen, wenn er will. Der Zoot-Anzug steckt in einer Schachtel, die mit einem purpurroten Band verschnürt ist. Auch die Schlüsselkette ist dabei. Beides hat einmal einem Jungen aus dem Osten von Los Angeles namens Ricky Gutierrez gehört. Bei den Zoot-Krawallen von 1943 wurde der junge Gutierrez

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