Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
Vom Netzwerk:
Eine hypothetische Kette dieses Typs, die Jamf kurz vor dem Krieg entworfen hatte, wurde später zu Imipolex G modifiziert.
    Jamf arbeitete damals für ein Schweizer Unternehmen, die Psychochemie AG, die früher unter ihrem ursprünglichen Namen Grössli-Chemiewerke eine Tochter von Sandoz gewesen war (wo, wie jedes Schulkind weiß, der legendäre Dr. Hofmann seine bedeutende Entdeckung machte). In den frühen zwanziger Jahren hatten sich Sandoz, Ciba und Geigy zu einem Schweizer Chemiekartell zusammengeschlossen, in dem wenig später auch Jamfs Firma aufgegangen war. Offensichtlich hatte Grössli die meisten seiner Verträge ohnehin mit Sandoz abgeschlossen. Bereits seit 1926 bestanden mündliche Absprachen zwischen dem Schweizer Kartell und der I.G. Farben. Als die Deutschen zwei Jahre später unter dem Namen I.G. Chemie ihre eigene Statthalter-Firma in der Schweiz gründeten, verkaufte Sandoz die Mehrheit seiner Grössli-Aktien an die I.G., die das Unternehmen unter der Firma Psychochemie AG neu konstituierte. Das Patent für Imipolex G wurde auf diese Weise sowohl von Psychochemie als auch, in Deutschland, von I.G. Farben angemeldet. Shell kam durch ein Abkommen mit Imperial Chemicals aus dem Jahr 1939 ins Spiel. Slothrop wird feststellen, daß aus irgendeinem seltsamen Grund keine der schriftlichen Vereinbarungen zwischen ICI und I.G. Farben später als 1939 datiert ist. Aus dem Imipolex-Abkommen geht hervor, daß Icy Eye den neuen Kunststoff innerhalb des Commonwealth auf den Markt bringen durfte - im Austausch für ein Pfund Sterling und andere geschätzte Gegenwerte. Wirklich hübsch. Die Psychochemie AG gibt's immer noch, unter derselben alten Adresse in diesem Zürich, Schokoladestraße.
    Slothrop, in einiger Erregung, wirbelt die lange Schlüsselkette seines Zoot-Anzugs um den Finger. Ein paar Dinge sind ihm sofort klar. Es ist viel mehr, das sich dort draußen auf ihn einschießt, als er noch in seinen paranoidesten Zuständen vermutet hätte. Imipolex G taucht in Verbindung mit einer ominösen "Vorrichtung für die Isolierung" in einer Rakete auf, die mit Hilfe eines Senders gesteuert wird, der sich auf dem Dach des Verwaltungshochhauses der holländischen Shell befindet, die mit dem Lizenznehmer für Imipolex G auf dem Commonwealth-Markt assoziiert ist - und das Antriebssystem dieser Rakete hat bedenkliche Ähnlichkeit mit einem Triebwerk, das etwa zur gleichen Zeit von der englischen Shell entwickelt wurde ... und dazu, o Mannomann, fällt Slothrop jetzt noch ein, wo das englische Geheimdienstmaterial über die Rakete zusammenläuft -nämlich im Büro von Mr. Duncan Sandys, dem Churchill-Schwiegersohn, der im Versorgungsministerium arbeitet, das sich nirgendwo anders befindet als im Londoner Shell-Mex-Gebäude, weiß Gott...
    Hier setzt sich Slothrop einen brillanten Überraschungsangriff in Szene, er und sein treuer Kampfgefährte, Blodgett Waxwing, gegen das Shell-Mex-Gebäude persönlich, mitten hinein ins Herz der Londoner Filiale der Rakete selbst. Mit seiner kleinen Sten mäht er ganze Züge waffenstarrender Wachsoldaten nieder, stößt aufschreiende WRAC-Sekretärinnen im heiratsfähigsten Alter zur Seite (wie anders als mit Schreien kann man reagieren, selbst im Spiel?), plündert blindwütig durch Aktenstöße, schmeißt mit Molotowcocktails um sich und platzt schließlich, er und Blodgett, zwei Zoot-Hanswürste mit Hosenbünden in den Achselhöhlen, die nach versengtem Haar und vergossenem Blut riechen, mitten ins Allerheiligste, wo sie aber keinen Mr. Duncan Sandys vorfinden, der vor ihrer Rechtschaffenheit in die Knie ginge, auch keine geöffneten Fenster, keine Anzeichen zigeunerhafter Flucht, keine verstreuten Schicksalskarten, nicht einmal das große Konsortium selbst, das sie zu nervenzehrender Konfrontation erwartet - sondern nur einen ziemlich langweiligen Büroraum, blitzende Maschinen an den Wänden aufgereiht, hohe Stapel von zart perforierten Lochkarten, zerbrechlich wie Zuckergesichter, zerbrechlich wie die letzten deutschen Mauern, die nach den Bomben ohne Stützen stehen und sich oben neigen, aus dem Himmel zu klappen drohen von der Kraft des Windes, der den Rauch verweht hat... Der Geruch ihrer Feuerwaffen liegt in der Luft, und keine einzige Bürodame läßt sich blicken. Die Hollerithmaschinen rattern und klingeln einander zu. Zeit, die Hüte abzunehmen, sich eine Nach-dem-Kampf-Zigarette zu teilen und über den Rückzug nachzudenken ... kannst du dich noch an den Weg hier

Weitere Kostenlose Bücher