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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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leisesten Berührung in einer wimmernden Matrix von Spannungen zerbrechen können
    "Armer Roger! Mein armes Lämmchen! Der Krieg ist heute wieder furchtbar, ich weiß!"
    "So isses", sein Kopf schüttelt und zuckt, ein schäumendes seh oder s, das auf die Explosion verzichtet, "aber du hast natürlich das Große Los gezogen, ganz klar", er nimmt die Hände vom Steuer, gestikuliert seine Worte, "du bringst es immerhin fertig, hin und wieder mal zurückzuschießen auf einen von den Brummern, du und dein kleiner Freund, der süße Nutria -" "Beaver."
    "Ganz recht! Großartig seid ihr gewesen, aber von den neuen Raketen habt ihr in letzter Zeit nicht allzu viele heruntergeholt, was? Ha!" Er setzt sein gehässigstes Grinsen auf, runzelt die Nase, kneift die Augen zu schmalen Schlitzen. "Nicht eine mehr als Pointsman oder ich! Wen macht das also heutzutage reiner als den anderen, Liebling? Na?" Er hüpft in seinem Ledersitz auf und nieder. Sie hat inzwischen ihre Hand nach ihm ausgestreckt, berührt fast seine Schultern, legt ihre Wange auf den eigenen Arm, läßt ihr Haar darüberfließen und beobachtet ihn schläfrig. Nie gelingt es ihm, sie in einen lauten Streit hineinzuziehen. Wie oft er es versucht hat! Sie setzt ihr Schweigen ein wie streichelnde Hände, um ihn abzulenken, um Frieden in die gemeinsamen Schlupfwinkel zu zaubern, in Zimmer, unter Bettdecken, an gedeckte Tische - die zufälligen Räume ... Selbst im Kino, als sie sich dieses unsägliche Going My Way ansahen, am Tag ihres Kennenlernens, spürte er jedes weiße Streifen ihrer unbehandschuhten Hände, fühlte er auf seiner Haut jede Saccade ihrer olivgrünen, bernsteingelben, kaffeebraunen Augen. Er hat Gallonen von Farbverdünner in seinem treuen Zippo-Feuerzeug verschwendet, dessen Docht, denn Männlichkeit erliegt dem Geiz, auf einen winzigen, verkohlten Stummel rationiert ist, hat das blaue Flämmchen am Rand der Finsternis, am Rand von vielen Finsternissen funkeln lassen, nur um immer wieder zu sehen, was auf ihrem Gesicht passierte. Jede neue Flamme zeigte ihm ein neues Gesicht. Und dann hat es die Augenblicke gegeben, ebenfalls häufiger in letzter Zeit, da sie, wenn sie einander ansahen, nicht mehr zu unterscheiden wußten, wer von ihnen wer sei. Beide empfanden, zur gleichen Zeit, dieselbe unheimliche Verwirrung ... als ob sie plötzlich in einen Spiegel blickten... oder mehr noch, als ob sie tatsächlich miteinander verbunden wären... Erst später, wenn sie - wieviel später? zwei Minuten? eine Woche? - wieder getrennt sind, begreifen sie, was geschehen ist -daß Roger und Jessica zu einem Doppelwesen verschmolzen waren, ohne etwas davon zu ahnen... In einem Leben, das er so oft verflucht hat für das Bedürfnis, so sehr an Dinge zu glauben, die jenseits des Beobachtbaren liegen, ist dies das erste wirkliche Wunder: eine Tatsache, die er nicht wegleugnen kann. Ihre erste Begegnung war, was Hollywood ein cute meet nennt, mitten in den historischen Kulissen des Stadtkerns von Tunbridge Wells. Roger war mit dem alten Jaguar auf dem Weg nach London, Jessica kämpfte am Straßenrand anmutig mit einem lädierten Fahrrad: ihr düsterer, wollener Uniformrock war zur Lenkstange emporgewandert, oberhalb der Khakistrümpfe wurden helle, perlmuttfarbene Schenkel und ein höchst vorschriftswidriges schwarzes Höschen sichtbar, tja "Vorsicht, Süße!", mit quietschenden Bremsen hält er an. "Wir sind hier nicht in der Garderobe vom alten Windmill, wenn du weißt, was ich meine." Sie wußte. "Hmm." Eine Locke machte sich selbständig, kitzelte ihre Nase, ließ die Antwort noch um eine Spur schärfer klingen: "Hatte keine Ahnung, daß sie kleine Jungs dort überhaupt reinlassen."
    Anspielungen auf sein Aussehen ist er mittlerweile gewohnt. "Und daß jetzt sogar Pfadfinderinnen eingezogen werden, hab wieder ich nicht gewußt." "Ich bin zwanzig."
    "Hurra, damit haben Sie sich für eine Freifahrt qualifiziert, hier mit diesem Jaguar nach London!"
    "Aber ich muß in die entgegengesetzte Richtung, fast bis Battle." "Oh, Rundfahrten machen wir natürlich auch."
    Sie schüttelt sich das Haar aus dem Gesicht: "Weiß deine Mutti eigentlich, was du unterwegs so treibst?"
    "Meine Mutter ist der Krieg", erklärt Roger Mexico und lehnt sich hinüber, um die Tür zu öffnen.
    "Komisch, daß Sie das sagen", ein schmutziger, kleiner Schuh wird vorsichtig auf das Trittbrett gesetzt.
    "Nun komm schon, Schatz, du verzögerst die ganze Mission. Laß deinen Drahtesel liegen und

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