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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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diese schrecklichen Gummistiefel ausziehen ...Ja, so, ja jaaa... Alle paar Meter stehen Soldaten, ein loser Kordon, versteinert, ein wenig wie aus einer anderen Welt. Die Battle of Britain kannte keine solchen Riten. Doch diese neuen Roboterbomben bringen neue Spielarten öffentlichen Terrors mit sich, Möglichkeiten, die noch niemand ausgelotet hat. Jessica bemerkt abseits in einer Gasse einen kohlenschwarzen Packard, in dem Zivilisten in dunklen Anzügen sitzen. Ihre weißen Hemdkragen starren aus den Schatten. "Wer sie wohl sind ?"
    Roger zuckt die Achseln: "sie" reicht allemal. "Keine freundlichen Gesellen." " Schau in den Spiegel!" Sie lächeln, aber das Lächeln ist alt und abgetragen. Es gab einmal eine Zeit, da sie begeistert war von seinem Job: hübsche kleine Sammelmappen über die fliegenden Bomben, einfach süß ... Und dazu sein ärgerlicher Seufzer: Jess, bitte, mach keinen kalten, fanatischen Wissenschaftler aus mir...
    Hitze schlägt ihnen in die Gesichter, sengt gelb die Augen, wenn Wasserstrahlen in die Flammen schießen. Eine Leiter, oben an die Dachrinne gehakt, schwankt im Sog des Feuers. Auf dem Dach, gegen den Himmel, zeichnen sich Gestalten in Ölmänteln ab, winken mit den Armen, drängen sich zusammen, um Befehle weiterzugeben. Einen halben Block weiter beleuchten Scheinwerfer die Rettungsarbeiten in einem nassen, verkohlten Trümmerhaufen. Leinenschläuche, feist vom Druck, schlängeln sich aus Pumpenwagen und schweren Tankzügen. Aus hastig verschraubten Flanschen sprühen kalte Wassersterne in die Luft, blitzen gelb auf, wenn Flammen hochlodern. Irgendwo kommt aus einem Empfänger eine Frauenstimme, ein ruhiges Yorkshire-Mädchen, andere Einheiten in andere Stadtviertel beordernd.
    Früher vielleicht hätten Roger und Jessica angehalten. Aber sie sind Veteranen der Battle of Britain, waren beide eingezogen in die schwarzen Morgenstunden, die Schreie um Erbarmen, die stumme Trägheit von Pflastersteinen und Gebälk, den tiefen Engpaß an Gnade in jenen Tagen... Wenn man erst mal das nte Opfer, oder Teil eines Opfers, aus dem nten Geröllhaufen gezogen hat, so sagte er ihr einmal, wütend und müde, dann hört es auf, noch sonderlich persönlich zu sein ... die Größe "n" mag sich bei jedem unterscheiden, aber, so leid mir's tut, früher oder später...
    Und neben der Erschöpfung ist da noch etwas anderes: Wenn sie auch den Absprung vom Krieg noch nicht geschafft haben, so haben sie doch zumindest den Anfang zu einem sanften Rückzug gemacht... Sie hatten nie Gelegenheit und Zeit, davon zu sprechen, vielleicht war es auch gar nicht nötig - aber sie sehen beide, sehr klar, daß es zu zweit, aneinandergeschmiegt, besser ist als draußen im Papierkram, im Feuer, Khaki und Stahl der Heimatfront. Daß die Heimatfront tatsächlich eine Art Fiktion und Lüge ist, dazu bestimmt - wenig subtil -, sie voneinander fernzuhalten, die Liebe zu zermürben für die Arbeit, für Abstraktionen, obligate Schmerzen, bitteren Tod.
    Sie haben ein Haus in der Sperrzone gefunden, unter den Fesselballons südlich von London. Die Stadt, die 1940 evakuiert worden ist, unterliegt noch immer den "Regulationen", steht also weiter auf der Liste der Regierung. Roger und Jessica bewohnen das Haus illegal, mit einem Trotz, den sie nicht ermessen können, solange sie nicht geschnappt werden. Jessica hat eine alte Puppe mitgebracht, Muscheln und die Reisetasche ihrer Tante voller Spitzenhöschen und Seidenstrümpfe. Roger hat es geschafft, ein paar Hühner in die leere Garage zu scheuchen, wo sie jetzt nisten. Immer, wenn sie sich hier treffen, denkt einer von ihnen daran, ein paar frische Blumen mitzubringen. Die Nächte sind erfüllt von Explosionen und Lastwagenlärm und einem Wind, der ihnen über die Hügel der Downs einen letzten Hauch vom Ozean bringt. Der Tag beginnt mit einer heißen Tasse Tee und einer Zigarette an einem kleinen Tisch mit einem wackeligen Bein, das Roger notdürftig mit braunem Zwirnsfaden repariert hat. Sie sprechen nicht viel, aber sie berühren einander, tauschen Blicke, lächeln sich an und fluchen, wenn sie wieder Abschied nehmen müssen. Es ist eine Randexistenz, hungrig und verfroren -sie sind meistens zu paranoid, um ein Feuer zu riskieren -, aber es ist etwas, das sie sich bewahren wollen, so leidenschaftlich, daß sie dafür mehr auf sich nehmen würden, als selbst die Propaganda je von ihnen verlangt hat. Sie lieben einander. Scheiß auf den Krieg! 

[1.7] Hundejagd

    Die Beute des

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