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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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trug er jetzt ein Band aus Liebesnesseln um sich, um seinen Schwanz), zu unbedingt und maßlos, als daß sie sich diesem Wahnsinn hätte entziehen können, zu wahnhaft aber auch, als daß sie ihn als wirklichen Betrug an Clive empfunden hätte ...
    Auf jeden Fall verdammt bequem für sie. Roger Mexico macht jetzt mit seiner Jessica eine ähnliche Geschichte durch, der Dritte im Bunde ist diesmal ein gewisser Beaver. Pirat hat sich das alles angesehen, ohne je mit Mexico darüber zu sprechen. Ja, er wartet ab, ob es für Roger genauso enden wird wie damals für ihn, das ist die eine Seite, Schadenfreude über fremdes Unglück, anfeuernder Applaus für all die
    Beavers und Clives dieser Welt und das, wofür sie stehen. Auf der anderen Seite aber - mit einem anderen Ich? - einem Ich, das er nicht vorschnell für "anständig" halten darf - scheint Pirat für Roger das zu wünschen, was ihm selbst einst entgangen ist...
    "Du bist ein Pirat", hatte sie ihm am letzten Tag zugeflüstert -keiner von beiden wußte, daß es der letzte war -, "du bist gekommen und hast mich verschleppt auf dein Piratenschiff. Ein Mädchen aus gutem Hause, mit der üblichen Verklemmung. Du hast mich entführt, und jetzt bin ich die Rote Hure der Weltmeere ..." Ein hübsches Spiel. Pirat wünschte, sie hätte es sich schon früher ausgedacht. Während sie das Licht des letzten Tages (des letzten schon) wegvögelten, vom Nachmittag bis in die Dämmerung, eine stundenlange Vögelei, aus der sie sich kaum lösen konnten, bemerkten sie, wie der geborgte Raum sanft schaukelte, wie die Decke entgegenkommend einen Fuß tiefer sank, die Lampen pendelten, ein Teil der Themsebewohner salzige Schreie beisteuerte und Schiffsglocken die Glasen schlugen...
    Aber dort, wo der Himmel die See berührte, waren die Häscher der Regierung schon auf ihrer Spur. Das Netz zog sich zusammen, die Boote waren ausgesetzt, kamen näher, an Bord aalglatte Hermaphroditen des Gesetzes, Agenten, die als alte Praktiker mit der sicheren Rückkehr der Entführten zufrieden sein, nicht auf seiner Hinrichtung oder Gefangennahme bestehen würden. Ihre Logik ist einfach: eine Wunde genügt, wenn sie nur schmerzhaft genug ist, um ihn zu brechen, um ihn den Bedingungen dieses hartgesottenen alten Eies mit Namen Welt gefügig zu machen, den Lebensplänen, die von einem Kompromiß zum nächsten führen... Er verließ sie an der Waterloo Station. Eine festliche Menschenmenge drängte sich auf dem Bahnsteig, um Fred Ropers Lustige Liliputaner zu einem Jahrmarkt nach Johannesburg, Südafrika, zu verabschieden. Zwerge in dunklen Wintersachen, exquisiten kleinen Kleidchen und taillierten Mänteln wieselten auf dem Bahnhof herum, mampften von ihrem Schokoladenproviant, warfen sich vor Pressephotographen in Pose. Der Anblick von Scorpias kreidebleichem Gesicht, durch das letzte Fenster, jenseits der letzten Sperre, schnitt ihm durchs Herz wie ein Messer. Über den Lustigen Liliputanern schwebte ein Gestöber aus Kichern und Abschiedswünschen. Na schön, dachte Pirat, schätze, ich gehe wieder zurück zur Armee ...

[1.6] Roger und Jessica

    Sie sind unterwegs nach Osten. Roger starrt über das Lenkrad, in Draculamanier in seinen Burberry geduckt, auf Jessicas Schultern und Ärmeln hängen noch Millionen von blitzenden Tröpfchen, ein samtiges Netz über dem schäbigen Uniformfilz. Sie möchten zusammen sein, im Bett, in Ruhe und in Liebe, und statt dessen geht's nach Osten heute nacht, südlich der Themse, um einen gewissen hochklassigen Vivisektionisten zu treffen, noch ehe die Uhr von St. Felix die erste Stunde schlägt. Und wenn die Mäuse wieder herunterkommen von ihrem Uhrenturm heut nacht, wer weiß, ob's nicht zum letzten war?
    Jessicas Gesicht im atembeschlagenen Seitenfenster ist zu einer neuen Trübung geworden, zu einem weiteren Lichttrick des Winters. Hinter ihr zieht der weiße Splitterbruch des Regens vorüber. "Warum geht er überhaupt raus und fängt sich seine Hunde selber? Er hat doch seine eigene Abteilung bei euch draußen, oder? Kann er nicht irgendeinen seiner Gehilfen schicken?"
    "Wir nennen das wissenschaftliche Mitarbeiten", erwidert Roger, "und ich habe keine Ahnung, warum Pointsman tut, was er tut. Er ist Pawlowianer, Schatz, und Fellow des Royal College. Woher soll ich mich auskennen mit solchen Leuten? Sie sind genauso schwierig wie eben dieses Pack bei Snoxall's."
    Sie sind gereizt heute abend, beide, beben wie Glasscheiben in zerbröckeltem Kitt, die von der

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