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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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hat verrostete Bierdosen aufgesammelt, Pariser, die gelb wären von übergangenem Samen, zu Hirnformen geknüllte Kleenextücher, deren Furchen übergangenen Rotz und über-gangene Tränen bargen, Zeitungen und Glassplitter, Teile von Automobilen, Tage, da er aus Aberglauben und aus Angst alles zusammenzufügen vermochte, in allem einen Posten aus einem langen Inventar erkannte, eine Geschichte: seine eigene, die seines Winters, seines Landes ... gelernt hat er, Dummkopf und Drifter, mehr, als er's sagen kann, auf eine tiefere Weise, von Kindergesichtern hinter Zugfenstern, zwei Takten Tanzmusik, irgendwo auf einer abendlichen Straße, den Nadeln und Zweigen einer Tanne, leuchtend und klar bewegt vor den Wolken der Nacht, einem Schaltplan unter Hunderten in einem staubigen, vergilbenden Stapel, dem Lachen aus einem Kornfeld auf seinem Schulweg früh am Morgen, einem Motorrad mit leerlaufender Maschine in einer dämmerschweren Stunde des Sommers ... und nun, in der Zone, später am Tag, wurde er zu einem Straßenkreuz : nach einem schweren Regen, an den er sich nicht erinnert, sieht Slothrop einen sehr dicken Regenbogen hier, einen stämmigen Regenbogen-Schwanz, der aus dem Schamhaar der Wolken in die Erde dringt, die grüne, nasse, gefurchte Erde, und er steht da und weint, nichts mehr in seinem Kopf, und fühlt sich einfach natürlich ...

[4.2] Miss Müller-Hochleben

    Doppelt kuppelnd, comme il faut, ab zischt Roger Mexico. Über die sommerliche Autobahn, zum rhythmischen Klopfen der Dehnungsfugen unter seinen Rädern, jagt er einen Vorhitler-Horch-870-B durch das rotverbrannte Rollen der Lüneburger Heide. Über die Windschutzscheibe wirbeln leichte Winde zu ihm herunter, bringen den Geruch des Wacholders. Heid-schnucken ruhen in der Landschaft wie herabgefallene Wolken. Sümpfe und Ginsterbüsche flitzen vorbei. Der Himmel über seinem Kopf ist bewegt, verfließend, ein lebendiges Plasma.
    Der Horch, armeegrün mit einer diskreten Narzisse, die in halber Höhe auf die Motorhaube gemalt ist, hat im Inneren eines Lastwagens am elbseitigen Rand des Brigadefuhrparks in Hamburg auf Roger gelauert, versteckt im Schatten mit Ausnahme der Scheinwerfer, den freundlichen Stielaugen eines Außerirdischen, die dem Besucher entgegenlächelten: Willkommen, Erdenmensch! Sobald er unterwegs war, entdeckte er, daß der Boden mit durcheinanderrollenden, unetikettierten Gläsern übersät war, die Säuglingsnahrung zu enthalten scheinen, ein grausiges, krankfarbenes Zeug, das kein Kind von Menschenart je essen und überleben könnte, Grün marmoriert mit Rosa, Kotzbeige mit Einschlüssen von Magenta, unmöglich zu identifizieren, auf der Verschlußkappe von einem grinsenden, fetten, cherubischen
    Säugling geschmückt, inwendig gärend vor gräßlichen Bo-tulismusgiften und Ptomainen... ab und zu wird unter dem Sitz spontan ein neues Glas geboren und rollt ihm dann, entgegen allen Gesetzen der Beschleunigung, zwischen die Pedale, um seine Füße in Verwirrung zu bringen. Er weiß, daß er anhalten und unter den Sitzen nach dem Rechten sehen sollte, aber er kann sich dazu nicht ganz überwinden. Fläschchen rollen klackend über den Boden, unter der Motorhaube schnattern ein oder zwei festhängende Ventilstößel die Geschichte ihres Mißbehagens. Wilder Senf peitscht auf dem Mittelstreifen vorbei, perfekt zweifarbig, rein gelb und grün, ein verhängnisvoller Strom, den nur zwei Wellenlängen Licht erkennen. Roger singt an ein Mädchen in Cuxhaven, das immer noch Jessicas Namen trägt:
    Ich träum, daß ich uns beide wiederfand, Im Frühling, viele fremde Leben weit entfernt, Am Strand, wir zwei, Die Hände haltend, und so frei, Mit Worten aus Papier, die wir so gut gelernt... Sie griffen uns am Tor zur grünen Wiederkehr, Zu ratlos längst zu Widerstand und Fragen -Ob wir uns wiedersehn? Blieb eine Spur bestehn Auf dem Beton der Autobahn aus Julitagen ?
    Plötzlich in eine derart grannen-goldene Glut von Hang und Feld hinein, daß er es fast vergißt, den Bogen der überhöhten Kurve zu steuern...
    Eine Woche bevor sie ging, kam sie zum letztenmal hinaus zur "Weißen Visitation". Abgesehen vom kümmerlichen Torso PIS-CES, war das Haus in eine Klapsmühle zurückverwandelt. Die Haltekabel der Sperrballone lagen rostend auf den durchweichten Wiesen, zerschilferten zu Spänen, Ionen, Erde - gespannte Sehnen, die gesungen haben mit den Terzen der Sirenen, geschmeidig wie ferner Wind, mit dem Trommelschlag der Bomben in den wilden

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