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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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stillen Straßen, und die Kreuzungen der Straßen selbst, wo man sich hinsetzen und in den Verkehr von Drüben hineinhören kann, in die Zukunft (es gibt keine serielle Zeit auf der anderen Seite: alle Ereignisse sind gegenwärtig, im selben ewigen Augenblick, so daß gewisse Botschaften von drüben hier bei uns oft keinen "Sinn machen": sie ermangeln der historischen Struktur, klingen phantastisch oder verrückt).
    Sandfarbene Kirchtürme ragen an Slothrops Horizonten auf, umgeben vom Kreuz der Apsiden, die die stromlinienförmigen Spitzen wie vier Raketenflossen leiten... in den Sandstein eingemeißelt findet er, ihn schon erwartend, das Zeichen der Weihe, ein Kreuz in einem Kreis. Und schließlich wird er, eines Nachmittags, bequem mit weit ausgespreizten Armen und Beinen in der Sonne liegend, am Rande einer der alten Pest-Städte selbst zu einem Kreuz, einem Straßenkreuz, einem lebendigen Schnittpunkt, dort wo die Richter den Galgen für einen gewöhnlichen Verbrecher aufstellen ließen, der um die Mittagsstunde gehenkt werden soll. Schwarze Hetz-und fangzahnbewehrte kleine Erdhunde, glatt wie Wiesel, Hunde, deren Rassen seit sieben Jahrhunderten verloren sind, jagen hinter einem hitzigen Weibchen her, während sich die Zuschauer auf dem Richtplatz versammeln, es ist die vierte Hinrichtung in diesem Frühling, und viel Spektakel gibt's hier nicht, außer dem einen, daß das Opfer diesmal in seinem letzten Augenblick von wer kann schon sagen welchem gelüpften Unterrock, welcher fettärschigen Gnädigen Frau Tod träumt, die auf ihn zugetänzelt kommt, und eine Erektion kriegt, eine kolossale, dunkelpurpurne Schwellung, und in dem Augenblick, da sein Nacken bricht, spritzt er doch tatsächlich in sein zerlumptes Lendentuch hinein, kremig wie die Haut eines Heiligen unter dem purpurnen Fastenmantel, und einem Tropfen Sperma gelingt es, davonzurollen, von Haar zu Haar zu tropfen, abwärts am toten Bein bis ganz hinunter an die Spitze des schmutzverkrusteten nackten Fußes und von dort auf die Erde, genau in das Zentrum der Straßenkreuzung, wo er sich im Weben der Nacht in eine Alraune verwandelt. Am darauffolgenden Freitag in der Morgendämmerung kommt der Zauberer, sein wandernder Heiligenschein wabert in spektralen Ringen zwischen Infrarot und Ultraviolett um seinen Schatten auf dem taufeuchten Gras, und bringt seinen Hund mit, einen kohlenschwarzen Hund, der seit einigen Tagen nichts zu fressen bekommen hat. Der Zauberer gräbt sorgfältig die Erde rings um die kostbare Wurzel auf, bis sie nur noch von den feinsten Wurzelhärchen festgehalten wird -dann bindet er sie am Schwanz seines schwarzen Köters fest, verstopft sich die Ohren mit Wachs und zieht ein Stück Brot aus der Tasche, um den hungrigen Hund zu locken: Rrrwuff! stürzt sich der Hund aufs Brot, die Wurzel wird herausgerissen und läßt ihren durchdringenden, tödlichen Schrei los. Der Hund fällt tot um, bevor er halbwegs bei seinem Frühstück ist, seine Aura vereist und schwindet in die Million Tautropfen. Der Zauberer nimmt die Wurzel an sich, trägt sie fürsorglich nach Hause, kleidet sie in eine feine, weiße Hülle und läßt über Nacht Geld bei ihr liegen: am nächsten Morgen hat sich der Betrag verzehnfacht. Ein Delegierter vom Komitee für idiopathische Archetypen kommt zu Besuch. "Inflation?" Der Zauberer versucht, sich hinter weit ausholenden Gesten zu verbergen. "? Noch nie davon gehört!" "Nein, nein", erwidert der Besucher, "nicht jetzt. Wir versuchen, in die Zukunft zu denken. Wir möchten etwas über die Grundstrukturen dieser Sache erfahren. Wie schlimm war zum Beispiel der Schrei?" "Hab mir die Ohren zugestöpselt, konnte ihn nicht hören. " Der Delegierte läßt ein brüderliches Geschäftelächeln aufblitzen. "Das kann ich Ihnen wirklich nicht verdenken ..."
    Kreuze, Hakenkreuze, Zonen-Mandalas, wie können sie denn nicht zu Slothrop sprechen? Er hat in Säure Bummers Küche gesessen, wo Kif-Moires durch die Luft fluteten, und Suppenrezepte gelesen, in welchen jedes Knochenstück und Kohlblatt eine Paraphrase auf ihn selbst war ... eine Neuigkeit, ein Trabername, der ihm genügend brächte für einen ganz bestimmten Ausweg... Er hat mit Spitzhacke und Schaufel auf den Frühlingsstraßen von Berkshire gearbeitet, Aprilnachmittage jenseits des Erinnerns, sie nannten es "Abteilung-franko-Arbeit" damals, im Gefolge des Schürfkübelwagens, der die kristallenen Innenangriffe des Winters, seine weiße Nekropolitik planierte ... er

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