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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Nächten, jetzt schlaff und alt, gerollt zu harten Nestern aus metallener Asche. Vergißmeinnicht schäumen, wohin man tritt, und Ameisen wimmeln geschäftig über die Straßen ihres Reichs. Schattenköniginnen, Gelblinge und Admirale treiben auf den Thermoklinen über den Kliffs. Jessica hat sich einen Pony schneiden lassen, seit Roger sie das letzte Mal gesehen hat. Jetzt steht sie die üblichen Ängste durch: "Es schaut einfach verheerend aus, brauchst es mir gar nicht erst zu sagen ..." "Einfach toll find ich's", sagt Roger, "ich mag's unheimlich so." "Du hast mich nur zum besten."
    "Jess, weshalb, um Himmels willen, reden wir von Frisuren?"
    Während drüben, jenseits der Barriere des Kanals, die schwer zu überwinden ist wie
    der Wall des Todes für ein unerfahrenes Medium, Leftenant Slothrop verführt und
    aufgegeben über das Antlitz der Zone kriecht. Roger will ihn nicht aufgeben: Roger
    will tun, was recht ist. "Ich kann den armen Idioten doch nicht so ohne weiteres im
    Stich lassen dort drüben. Wie sollte ich. Sie wollen ihn kaputtmachen -"
    Aber sie: "Roger", mit dem gewohnten Lächeln, "wir haben Frühling. Jetzt herrscht
    Frieden!"

Herrscht nicht. 'ne neue Propagandalüge, in die Welt gesetzt von der P.W.E. Meine Herren, wie Sie aus unseren Berechnungen ersehen können, bietet sich der 8. Mai als optimales Datum an: der jährliche Pfingstexodus steht vor der Tür, die Schulen schließen, die Wetterprognose ist günstig für die Landwirtschaft, und der Saisonknick im Brennstoffbedarf gibt uns ein paar Monate Atempause, um unsere Pläne für die Ruhr zu ordnen - nein, er sieht nur den gleichen, ungebrochenen Strom der Macht, dieselbe Auslaugung, mit der er sich seit 1939 herumschlägt. Sein Mädchen soll ihm nach Deutschland versetzt werden, statt ins Zivilleben zurückzukehren wie alle anderen. Kein Draht nach oben, der ihnen beiden, der auch nur einem eine Hoffnung des Entkommens ließe. Irgend etwas ist da immer noch im Gange, nennt es nicht unbedingt einen "Krieg", wenn's euch nervös macht, vielleicht ist die Todesrate ja wirklich um ein, zwei Dezimalen gesunken, und Bier in Dosen gibt es endlich wieder, und es waren auch 'ne Menge Leute auf dem Trafalgar Square, in einer Nacht, die gar nicht so lange zurückliegt... aber ihr Unternehmen geht weiter. Die traurige Wahrheit, die ihm das Herz zerreißt, die seine Leere bloßlegt, ist, daß Jessica ihnen glaubt. "Der Krieg" war die Bedingung, unter der sie bei Roger sein konnte. "Frieden" erlaubt es ihr, ihn zu verlassen. Seine Möglichkeiten sind, gemessen an den ihren, viel zu beschränkt. Er hat keine Worte zur Verfügung, keine technisch blendende Umarmung, keine Schreikrämpfe, welche sie jemals halten könnten. Der alte Bea-ver, es ist kaum überraschend, wird drüben als Verbindungsmann zur Luftverteidigung stationiert sein: also sind sie zusammen, Jess und Jeremy, im romantischen Cuxhaven. Tschüß, verrückter Roger, schön war's, eine Kriegstollerei, wenn's uns gekommen ist, war das irre scharf, deine Arme so weit offen wie zwei B-17-Flügel, wir hatten unsere militärischen Geheimnisse, wir haben die fetten alten Colonels rechts und links ausgetrickst, aber einmal hat eben alles sein Ende, Mensch, ich muß ja laufen, Roger, Süßer, wirklich, es war traumhaft...
    Er würde auf die Knie sinken vor ihren, die nach Glyzerin und Rosenwasser riechen, er würde Sand und Salz von ihren groben ATS-Schnürschuhen lecken, ihr seine Freiheit anbieten, sein Gehalt der nächsten fünfzig Jahre in einem guten, sicheren Beruf, sein armes, hämmerndes Gehirn. Aber es ist zu spät. Jetzt herrscht Frieden. Die Paranoia, die Gefahr, das melodienlose Pfeifen des fleißigen Gevatters Tod an der Nachbartür, alles ist eingeschlafen, vergangen mit dem Krieg wie ihre RogerMexico-Periode. An dem Tag, da die Raketen zu fallen aufhörten, begann es auch für Roger und Jessica zu Ende zu gehen. Als es klar wurde, Tag um einschlagslosen Tag, daß keine mehr kommen würden, niemals wieder, kroch die neue Welt in sie hinein und über sie wie der Frühling - weniger die Veränderungen, die sie an Licht und Luft, an den Menschenmengen bei Woolworth spürte, als ein schlechter Kinofrühling mit Blättern aus Papier, mit Blüten aus Baumwollstoff und kitschiger Beleuchtung ... nein, niemals wieder wird sie an der Spüle in der Küche ihres Hauses stehen, die Porzellantasse in ihren Fingern quietschend, ein kleines Kinderweinen, schutzlos, in schwacher Resonanz KOPFLOS IM

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