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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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DPs, verbrannten Archiven, für immer verschollenen Akten könnte's doch sein, daß Papiere in Europa nicht soviel bedeuten ... Moment mal, Slothrop, nicht soviel wie? Na? Wie in Amerika? Scheiße. So laß doch -Tja, also immer noch der Gedanke, daß es ein Zurück gibt. Er hat sich gewandelt, sicher, gewandelt und den Albatros seines Ichs gerupft ab und zu, nachlässig, halb unbewußt, als ob er sich in der Nase bohrte - aber diese eine Geisterfeder, die seine Finger stets nur streiften, das ist Amerika. Die große Hure. Er kann nicht von ihr lassen, armes Arschloch, das er ist. Zu oft hat sie ihm lieb mich zugeraunt im Schlaf, hat unersättlich sein erwachendes Bewußtsein mit Komm-her-zu-mir, unglaublichsten Versprechungen, becirct. Eines Tages-ja, er kann den Tag sehen -mag es ihm endlich gelingen, mit mir nicht zu antworten, genau, und einfach zu gehen ... aber er ist noch nicht soweit. Ein Versuch noch, eine Chance, ein Geschäft, einmal noch umsteigen auf eine andere, hoffnungsvolle Linie. Vielleicht ist's ja nur Stolz. Was wäre, wenn sie in ihrem Führring keinen Platz mehr hätte für ihn? Wenn sie ihn rausgeschmissen hat, wird sie ihm nie den Grund erklären. Ihre Hengste haben keine Rechte. Sie ist immun gegen ihre winzigen, dummen Fragen. Sie ist genau dieses Luder von einer Amazone, als das sie eure Phantasien stets gesehen haben.
    Und da ist Jamf, diese Koppelung von "Jamf" und "Ich" in seinem entscheidenden Traum. Zu wem kann er damit gehen? Es ist ein Traum, der keine allzu schürfende Deutung verträgt. Wenn er ihm zu nahe kommt, setzt es Rache. Vielleicht, daß sie ihn vorher warnen, vielleicht auch nicht.
    Die Omen werden deutlicher, spezifischer. Er beobachtet die Flüge der Vögel, die Muster in der Asche seines Feuers, er liest in den Eingeweiden von Forellen, die er gefangen und ausgenommen hat, in Fetzen von verlorenem Papier, in den Graffiti auf zerstörten Mauern, deren Verputz heruntergeschossen ist und den rohen Stein enthüllt - und auch die Zerstörung selbst hat Formen, die zu lesen sind ... Eines Nachts entdeckt er an der stinkenden und typhusprallen Wand eines öffentlichen Scheißhauses, zwischen Initialen, Tagesdaten, hastig hingeworfenen Penissen und Mündern, die sich ihnen öffnen, unter Werwolf-Silhouetten vom dunklen Mann mit den hochgezogenen Schultern und dem Homburg eine offizielle Propagandaparole: willst du die v 2, dann arbeite. Guten Abend, Tyrone Slothrop... nein, nein, wart mal, is okay, da drüben auf der anderen Wand steht noch was: willst du die v 4, dann arbeite. Schwein gehabt. Die übersprudelnden Stimmen ziehen sich zurück, der Witz wird klar, es geht hier wieder nur um Goebbels und die Unfähigkeit des Mannes, eine gute Sache gut sein zu lassen. Aber es hat Kraft gekostet, zur anderen Wand hinüberzugehen und sie anzuschauen. Alles mögliche hätte dort stehen können. Es war in der Abenddämmerung. Gepflügte Felder, Hochspannungsleitungen, Gräben und ferne Windbrüche erstreckten sich kilometerweit. Er fühlte sich tapfer und Herr der Lage. Doch dann fiel sein Blick auf eine andere Botschaft: ROCKETMAN WAS HERE
    Sein erster Gedanke war, daß er das selbst geschrieben und vergessen hätte. Merkwürdig, daß ausgerechnet dieser Gedanke sein erster sein sollte, aber so war's. Vielleicht begann er schon, sich selbst, eine gestrige Version seiner selbst, in das Bündnis gegen den einzubeziehen, der er augenblicklich war. In seinem trägen Koma zuckte der Albatros.
    Vergangene Slothrops, einer pro Tag vielleicht im Schnitt, zehntausend insgesamt, darunter manche mächtiger als andere, waren allabendlich bei Sonnenuntergang übergelaufen zu diesem Wirt, in dieses wütende Heer. Sie waren die fünfte Kolonne, mitten in seinem eigenen Kopf, die nur noch auf den Zeitpunkt wartete, um ihn den vier anderen Divisionen draußen auszuliefern, die ihn umzingelten...
    Also ritzt er, neben den anderen Graffiti, mit einem Stein dieses Zeichen in die Wand:
    Bild5
    Slothrop belagert. Erst nachdem er es an einem halben Dutzend anderer Orte hinterlassen hatte, dämmerte es ihm, daß das, was er in Wahrheit zeichnete, die A-4-Rakete war, genau von unten gesehen. Zu welchem Zeitpunkt er empfänglich geworden war für andere vierfältige Signale, Variationen auf Frans van der Groovs kosmische Windmühle: Hakenkreuze, deutsche Turnerzeichen, vier Fs in einem punktsymmetrischen Kreuz, zwei auf dem Kopf, zwei rückwärts, Frisch Fromm Fröhlich Frei über blitzsauberen Torbogen in

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