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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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dereinst zu dunklem Bernstein läutern wird. Aus ihren zögerlichen, scheuen Spuren an der Wand, die so anders sind, als ihre Konsistenz vermuten ließe, kann Slothrop, schon ganz merkwürdig für Scheiße sensibilisiert, die lange Leidensgeschichte des armen Dumpster herauslesen, der voriges Semester versucht hat, sich umzubringen: die Differentialgleichungen, die sich für ihn zu keiner Schönheit fügen wollten; die Mutter mit dem ausladenden Hut und den Seidenknien, die sich in Sidney's Great Yellow Grille über Slothrops Tisch beugte, um sein Canadian Ale auszutrinken; die Radcliffe-Mädchen, die ihn ignoriert haben; die schwarzen Profis, die ihm von Malcolm aufgedrängt wurden und ihm für harte Dollars erotische Grausamkeit verkauft haben, solange seine Kräfte reichten oder sein Bargeld, wenn Mutters Scheck einmal Verspätung hatte. Stromaufwärts dahin, das Basrelief Dumpster, verschluckt vom grauen Licht, da Slothrop nun an den Marken von Will Stonybloke, von J. Peter Pitt, von Jack Kennedy, dem Botschaftersohn, vorbeigleitet - wo zum Teufel steckt dieser Jack übrigens heute? Wenn überhaupt einer imstande wäre, die Mundharmonika zu retten, dann unser Jack, wetten daß? Slothrop bewundert ihn von ferne - er ist sportlich und freundlich und aus Slothrops Jahrgang einer der beliebtesten. Ganz schön scharf auf Geschichte aber auch. Jack... ob Jack sie wohl vor dem Runterfallen bewahrt, vielleicht die Schwerkraft aufgehoben hätte? Hier auf dieser Reise in den Atlantik, wo schon Gerüche nach Salz, Tang, Verrottung schwach gegen ihn anbranden wie das Geräusch von Brechern, will es ihm scheinen, ja, als hätte Jack selbst so was schaffen können. Um der Melodien willen, die noch nicht gespielt sind, um jener Millionen von möglichen Bluesnoten willen, die aus den amtlichen Frequenzen zu befreien sind, Modulationen, für die Slothrop einfach nicht den Atem hat ... noch nicht den Atem hat, aber vielleicht ... Wenn (falls ...) er das Instrument doch noch findet, wird es zumindest gut eingeweicht sein, viel einfacher zu spielen. Ein hoffnungsfroher Ausblick auf dem Weg durch den Abort! Seht mich an, ich schwimm im Kloho, Und bin meines Lebens froho. Hoffentlich macht keiner Aa! Tralla, heißa, hoppsassa Genau in diesem Augenblick hallt das verfluchte Rauschen auch schon durchs Rohr, schwillt an zum Donnern einer Sturmflut, rast als kompakte Wellenfront aus Scheiße, Kotze, Klosettpapier und Klabusterbeeren in sinnverwirrendem Mosaik auf den entnervten Slothrop zu wie ein U-Bahn-Zug der MTA auf sein unglückliches Opfer. Wegrennen ist nicht. Gelähmt starrt er über die Schulter zurück: eine massive, hochgetürmte Wand, ein Kaventsmann, wehend bekränzt mit Klopapier, überschlägt sich und stürzt -GAAHHH! Er macht noch einen kläglichen Froschhüpfer, doch schon hat ihn der Kotzylinder überrannt, glitscht ihm finster wie kaltes Rindsaspik ins Rückgrat, peitscht ihn mit vollgeschissenem Papier, das sich um Nase, Lippen, Nüstern schlingt, mit Gestank, der alles auslöscht, einem Hagelsturm aus Mikroköteln, die sich in Brauen und Wimpern verfangen, es ist schlimmer, als von den Japsen torpediert zu werden ... Die braune Brühe hüllt ihn ein und reißt ihn mit sich, wirbelt ihn Arsch über Kopf davon, obwohl es in diesem undurchdringlichen Scheißesturm kein Oben und kein Unten, keine Bezugspunkte mehr gibt. Von Zeit zu Zeit schrammt er an pflanzlichem Geäst entlang, an federigen Bäumchen vielleicht. Ihm fällt auf, daß er an keine harte Wandung mehr gestoßen ist, seit sein Sturz begonnen hat (falls "Sturz" das rechte Wort ist für das, was ihm geschieht).
    Irgendwann beginnt die braune Düsternis um ihn herum, sich aufzuhellen. Eine Art Morgendämmern. Auch sein Schwindelgefühl läßt allmählich nach. Letzte Fetzen Klopapier, schon halb zu Schlamm zurückverwandelt, treiben davon ... traurig, zerweicht, verloren. Ein unheimliches Licht wächst auf ihn zu, ein wäßrigmarmoriertes Licht, das ihm Entdeckungen zu versprechen scheint, vor welchen er zurückschreckt. O ja, es gibt "Kontakte" in diesen Abfallregionen, hier leben Menschen, die er kennt. In den Schalen alter Ruinen, die aus dichtgefügtem Ziegelwerk zu bestehen scheinen, eine Folge von verwitterten Zellen, viele ohne Dach. Holzfeuer brennen in rußgeschwärzten Kaminen, Wasser siedet in rostigen, übergroßen Limabohnenbüchsen, der Dampf zieht durch rissige Schornsteine ab. Und dort hocken sie, auf alten Pflastersteinen, und vollführen

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