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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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auf der dreckigen Plaza von Los Madres enden, die Augen weit aufgerissen, das räudige Fell unversehrt, während seine schwarzen Flöhe auf der anderen Seite des Platzes gegen das sonnenhelle Mörtel-und Mauerwerk der Kirchenfassade springen und das Blut an der Bißwunde im Nacken dunkel verkrustet, wo Whappos Zähne seine Halsschlagader durchtrennt haben (und vielleicht auch ein paar Sehnen, denn der Kopf baumelt schräg herab). Der Fleischerhaken dringt zwischen zwei Wirbeln im Rücken ein. Mexikanische Ladies schubsen den Kadaver hin und her, und er schwingt widerwillig durch die vormittäglichen Marktgerüche nach Platanos (zum Rösten), jungen, süßen Karotten aus dem Red River Valley, zertretenem rohem Grünzeug aller Art, moschusduftenden Cilantros, scharfen, weißen Zwiebeln, in der Sonne gärenden Ananas, die fast schon explodieren, und Pilzen aus dem Gebirge, die auf langen Brettern ausliegen. Slothrop bewegt sich zwischen Verschlagen und ausgehängten Kleidungsstücken, unsichtbar, zwischen Pferden und Hunden, Schweinen, braun uniformierten Milizsoldaten, Indianerinnen, die ihre Babies umgebunden haben, Dienstboten aus den pastellfarbenen Häusern weiter oben auf dem Hügel - die Plaza siedet vor Leben, und Slothrop ist verwirrt: soll es denn nicht nur ein Exemplar von jeder Sorte geben? Antwort: Genau.
    Frage: Also nur ein Indianermädchen...
    A.: Eine reinblütige Indianerin. Eine Mestizin. Eine Kreolin. Weiter: eine Yaqui. Eine Navaho. Eine Apachin F.: Moment, aber da war doch erst mal nur ein Indianer? Der, den dieser Crutchfield umgebracht hat? A.: Stimmt.
    Sie müssen das Ganze als Optimierungsproblem sehen. Das Land kann immer nur eines von jedem optimal unterhalten.
    F.: Und was ist mit all den anderen? Boston? London? All den Menschen, die in den großen Städten leben? Sind diese Menschen wirklich oder nicht ? A.: Einige sind wirklich. Andere nicht.
    F.: Und die, die wirklich existieren, sind sie notwendig oder überflüssig? A.: Kommt ganz darauf an, was Sie mit ihnen vorhaben. F.: Verdammt, ich habe überhaupt nichts mit ihnen vor. A.: Aber wir.
    Für einen kurzen Augenblick nehmen zehntausend Leichen unter ihren Schneehügeln in den Ardennen das sonnige, disneyhafte Aussehen von abgezählten Babies unter weißen Wolldecken an, die nur darauf warten, an glückliche Eltern in Orten wie Newton Upper Falls verschickt zu werden. Es dauert nur einen Lidschlag lang. Dann klingt es einen weiteren Moment lang so, als würden sämtliche Weihnachtsglocken der Schöpfung zu einem großen Chor zusammenfinden - als würde all ihr zufälliges Gebimmel dieses eine Mal verschmelzen zu einem harmonischen Akkord, der verbindlichen Trost verkündete und praktikable Freude. Aber Blende zurück nach Roxbury-Hill. In den Furchen und Rillen der schwarzen Gummisohlen klumpt Schnee. Die Arctics geben bei jeder Bewegung seiner Füße ein quietschendes Geräusch von sich. In der Dunkelheit dieser dreckigen Gasse wirkt der Schnee wie Ruß auf einem Negativ ... er strömt herein aus der Nacht und zurück ... Die Ziegelmauern bei Tageslicht (er sieht sie erst in der frühen Dämmerung, als seine Füße in den Überschuhen schmerzen und er überall auf dem Hill nach einem Taxi Ausschau hält) sind flammender Verfall, kompakt und tief, wieder und wieder von Frösten zerfressen: Geschichte geworden auf eine Art, die er in Beacon Street nicht wahrgenommen hat...
    Im Schatten, wo Schwarz und Weiß ein Pandamuster auf sein Gesicht malen, dessen Flecke aus wucherndem Narbengewebe zu bestehen scheinen, wartet der Verbindungsmann, den zu sehen er die ganze weite Reise unternommen hat. Das Gesicht ist so schlaff wie das eines Haushundes, und sein Besitzer zuckt mächtig die Schultern.
    Slothrop: Wo steckt er? Warum zeigt er sich nicht? Und wer sind überhaupt Sie? Stimme: Den Kid hat man geschnappt. Und mich kennst du sehr wohl, Slothrop. Erinnerst du dich? Ich bin Niemals.
    Slothrop (mustert ihn eingehend): An seiner Stelle? (Pause) So hat er also doch, Niemals? Der Kenosha Kid ... 

[1.11] Kryptosam

    Bei "Kryptosam" handelt es sich um ein patentiertes, chemisch stabiles Tyrosin-Derivat, das von der I. G. Farben im Rahmen eines Forschungsauftrags für das O KW entwickelt wurde. Es enthält eine Startersubstanz, die bei Anwesenheit eines bis heute [1934] nicht identifizierten Bestandteils der Samenflüssigkeit die Oxydation des Tyrosin zu Melanin (Hautfarbstoff) einleitet. In Abwesenheit von Samenflüssigkeit bleibt "Kryptosam"

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