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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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irgend etwas ... er kann es nicht richtig unterbringen - etwas unbestimmt Religiöses ... Die Schlafgemächer sind vollständig möbliert, Lampen pendeln und glühen warm, Plüsch hängt von Wänden und Plafonds. Bis hinab zur letzten, unbemerkten blauen Perle, die staubbedeckt vom ausgestopften Hirschkopf baumelt, zur letzten vertrockneten Spinne und der komplizierten Rüschung der Teppichfransen verblüfft ihn die ausgeklügelte Strukturierung dieser Räume. Sie sind ein Zufluchtsort vor Katastrophen. Nicht notwendigerweise den Klospülungen - sie nimmt man hier nur noch mit dem Verstand wahr, erschlossene Vorfälle, jenseits dieses uralten Himmels und seiner rostigen Schattierungen -, sondern vor etwas anderem, das dieses Land grausam heimgesucht hat und das der arme, durchweichte Slothrop weder sehen noch hören kann... als ob hier täglich ein Pearl Harbor stattfände, jeden Morgen unsichtbar vom Himmel schmetternd ... Er hat Toilettenpapier im Haar, und in seinem rechten Nasenloch logiert eine dicke, wollige Klabusterbeere. Würg, würg. Untergang und Verfall arbeiten an dieser Landschaft, schweigend und Hand in Hand. Keine Sonne, kein Mond, nur eine lange, sanfte Sinuswelle von Licht. Es ist eine Negerbeere, kein Zweifel - als er nach ihr puhlt, zeigt sie sich störrisch wie ein winterlicher Dunkelelf. Sein Fingernagel kratzt Blut auf. Er steht außerhalb all dieser gemeinschaftlichen Räume, draußen in seinem eigenen Wüstenmorgen, in dessen Aufwind ein, nein, zwei rötlichbraune Falken kreisen und den Horizont absuchen. Es ist kalt und zugig. Er spürt nur seine Isolation. Sie wollen ihn bei sich haben, doch er kann nicht zu ihnen gehen. Etwas hält ihn zurück: einmal hineinzugehen wäre gleichbedeutend mit einem blutigen Schwur. Sie würden ihn nie wieder ziehen lassen. Niemand kann ihm garantieren, daß man ihn nicht bitten würde, etwas zu tun ...etwas, das so ...
    Plötzlich bewegt sich jeder lose Stein, jedes Stück Stanniolpapier, jede hölzerne Schindel, jeder Span Feuerholz oder Stoffetzen auf und nieder - hebt sich zehn Fuß vom Boden, fällt sofort zurück und schlägt mit scharfem Knall auf das Pflaster. Das Licht ist dick und wassergrün. Überall auf den Straßen steigen und fallen die Trümmer im Gleichtakt, so als zöge eine kurze, steile Dünung unter ihnen hindurch. Es ist kaum möglich, in diesem vertikalen Tanz noch größere Entfernungen zu überblicken. Das Trommeln auf dem Pflaster vollführt elf Schläge, setzt den zwölften aus und beginnt wieder von vorn ... es ist der Rhythmus eines alten amerikanischen Volksliedes ... Die Straßen sind menschenleer. Es dämmert, Abend oder Morgen. Die Trümmerteile, die aus Metall sind, schimmern in harter, fast bläulicher Beständigkeit.
    Red Malcolm da oben, vergißt du denn den? Der die Haare sich rot färbt mit Congolen ...
    Und hier nun Crutchfield, oder Crouchfield, der Westwärtsmann. Nicht der "archetypische" Westwärtsmann, sondern der einzige. Ganz recht, es gab nur diesen einen. Es gab nur einen einzigen Indianer, der jemals gegen ihn kämpfte. Nur einen Kampf, einen Sieg, eine Niederlage. Und nur einen Präsidenten, einen Mörder, eine Wahl. Nur eines von jedem von allem. Du hattest mit der Idee des Solipsismus gespielt und dir vorgestellt, die Struktur wäre, auf deiner Ebene, nur von einer Einheit besiedelt, von grausam nur einer. Die anderen Ebenen blieben außer Betracht. Doch nun stellt sich heraus, daß es doch nicht ganz so einsam ist. Dünn besiedelt, gewiß, aber immer noch wesentlich besser als absolut solitär. Eines von jedem von allem ist immerhin erträglich. Besser eine halbierte Arche als gar keine. Unser Crutchfield hier ist gebräunt von Sonne, Wind und Schmutz -gegen die tiefbraunen Latten der Stalloder Scheunenwand ist er Holz von anderer Maserung und Rauheit. Gutgelaunt steht er vierschrötig vor der purpurnen Bergkette und blinzelt in die Sonne. Sein Schatten fällt grotesk verzerrt über das Flechtwerk der Hölzer im Inneren des Stalls -Pflugbäume, Zeltstangen, Boxenbretter, Trogschragen, Dachbalken, hölzernes Gespärre, durch das die Sonne scheint: blendend empyreisch selbst zu dieser späten Stunde des Tages. Hinter einem Nebengebäude spielt jemand auf einer Mundharmonika - ein musikalischer Schlemmer, der gigantische, fünftönige Akkorde aus der Harmonika saugt, darüber die Melodie von
    RED RIVER VALLEY Durch die Latrine hier spült's dich flußab, Komm doch an Land, wo das Grün wird zu Braun, Denn der

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