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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Wasservögel schreien über dem See.
    "Aber wird es uns jemals erwischen, Jeremy, dich und mich, dasissdiefrage ..." Mexico murmelt diese orakelhaften - oft, wie heute mittag beim Essen im Club, ziemlich peinlichen - Fragmente fast ohne Pause, seit er hier aufgetaucht ist. "Ähem, ob uns was jemals erwischt, alter Knabe?" Den ganzen Tag geht die Leier mit dem alten Knaben schon.
    "Haschu noch nie daschefühl gehabt, daschisch was esch-wischn will, Jeremy?" "Mich erwischen." Er ist besoffen. Er ist verrückt. Ich darf ihn wirklich nicht in Jessicas Nähe lassen sie sind wie Oboisten diese Matheknaben es greift das Hirn an oder so was ...
    Aha, gut, aber selbst Jeremy, einmal im Monat, selbst Jeremy träumt: von einer Spielschuld ... Mahner, Eintreiber, Inkassoinstitute suchen ihn heim ... er kann sich nicht an die Schuld erinnern, nicht an den Gläubiger, nicht einmal an das Spiel. Er fühlt, daß eine riesige Organisation hinter seinen Besuchern stehen muß. Ihre Drohungen bleiben vage, so daß Jeremy selbst sie ausfüllen muß ... und immer ist das Entsetzen aus der Lücke hervorgeschossen, kristallenes Entsetzen... So weit, so gut. Der anderen, todsicheren Feuerprobe ist Jeremy schon unterzogen worden - an einer vorher festgelegten Stelle in einem Park springen plötzlich zwei arbeitslose dumme
    Auguste, weißgesichtig und in Berufskleidung, aus ihrem Versteck hervor und beginnen, einander mit gigantischen, zweieinhalb Meter langen und detailgetreu ausgeführten Schaumgum-mipenissen in naturnahen Farben zu verprügeln. Diese Phröhli-chen Phalli haben sich als gute Investition erwiesen. Roger und Seaman Bodine, wenn letzterer nicht anderweitig unterwegs, sind drauf und dran, damit den ENSA-Shows die Schau zu stehlen. Eine willkommene Möglichkeit für kleine Nebenverdienste - ganze Menschenmassen versammeln sich vor den Toren der norddeutschen Städtchen, um den beiden Hanswürsten beim Verkloppen zuzusehen. Getreidespeicher, meistens leer, ragen hier und da über die Dachfirste auf und recken einen hölzernen Galgenarm in den Nachmittagshimmel. Soldaten, Zivilisten, Kinder. Und es wird viel gelacht.
    Anscheinend kann man die Leute an Titanen und Väter erinnern und damit zum Lachen bringen. Es ist nicht so komisch wie eine Torte im Gesicht, aber mindestens ebenso rein.
    Jedenfalls, die Riesengummischwänze haben sich bewährt und bleiben Teil des Arsenals.
    Was Jessica zu ihm sagte - ihr Haar viel kürzer, der Mund dunkler und anders umrissen, ein kälterer Lippenstift, die Schreibmaschine und ein Wall von Briefen zwischen ihnen -, war: "Wir werden heiraten. Wir geben uns schon alle Mühe für ein Baby."
    Plötzlich ist nur noch sein Arschloch zwischen Roger und der Schwerkraft. "Das macht mir nichts. Du kannst sein Kind ja ruhig haben. Ich werde euch beide lieben -aber komm zu mir, Jess, bitte ... ich brauche dich ..."
    Sie legt einen roten Hebel an ihrer Sprechanlage um. Irgendwo anders geht ein Summer los. "Wache." Ihre Stimme ist von geschliffener Härte, der Schlag des Wortes hallt noch in der Luft, als die Gittertür des Wellblechbüros schon aufgestoßen wird und grimmig blickende Bullen zusammen mit einem Geruch nach Ebbe und Watt hereinstürzen. Wache. Ihr Zauberwort, ihr Bann gegen Dämonen. "Jess -" Scheiße, wird er etwa heulen? Er fühlt's in sich hochwachsen wie einen Orgasmus -
    Wer rettet ihn (oder stört seinen Orgasmus)? Kein Geringerer als Jeremy persönlich! Der alte Beaver platzt ins Zimmer und wedelt die Bullen raus, die düster und zähnefletschend zu ihrem Masturbieren in Verbrechen-lohnt-sich-nicht-Comics, träumerischen Starren auf Wachstuben-Pin-ups von J. Edgar Hoover oder allfällig Sonstigen zurückkehren, in das sie vertieft gewesen waren. Das romantische Dreieck bleibt allein zurück und soll nun plötzlich gemeinsam lunchen gehen, im Club. Gemeinsam essen? Ist das hier Noel Coward oder so 'n Scheiß? Jessica läßt sich im letzten Augenblick von irgendeinem fiktiven Frauenleiden übermannen, hinter dem beide Männer stillschweigend eine Schwangerschaftsbeschwerde wittern, was Roger für eine Gehässigkeit sondergleichen und Jeremy für einen cleveren VierAugen-unter-sechs-Trick hält. So bleiben die Gentlemen denn unter sich, um frisch von der Leber über die Operation Backfire zu plaudern, das britische A-4-Versuchsprogramm, bei dem ein paar Raketen zusammengebaut und in die Nordsee geschossen werden sollen. Was hätten sie auch sonst zu reden? "Warum?" fragt Roger immer wieder,

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