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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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nordwärts in die Senken, zu schlafen auf den trockenen Glasveranden verlassener Kurorte (offizieller Schmerz, offizieller Tod herunterblickend aus steingebrannten Statuenaugen, die ganze Nacht), allabendlich Verteidigungsgräben auszuheben rund um das Lager, unter dem Geruch der Tannennadeln, die zerquetscht werden von Stiefeln oder Schaufeln ... Sich den Glauben zu bewahren, daß es diesmal kein Treck ist und kein Kampf, sondern die wirkliche Bestimmung, mit der die 00001, wie eine eingefettete Patrone in den Verschlußkopf, in das Schienensystem hineingleitet, das im letzten Frühling für sie vorbereitet wurde, ein Wegenetz, das nur äußerlich zerstört ist, kunstvoll, mit besonderen Techniken der Bombardierung, vom Krieg geformt, um diese kunstvollste Form von Technik, die Rakete, aufzunehmen - die schrecklichste unter allen Möglichkeiten des Bombardierens ...
    Die 00001 wird in ihre einzelnen Baugruppen zerlegt transportiert - Sprengkopf, Leitsystem, Brennstoff- und Sauerstofftanks, Schwanzabschnitt. Wenn sie es alle bis zur Schußstelle schaffen, wird man sie dort wieder zusammensetzen müssen. "Zeig mir die Gesellschaft, die niemals sagte: Enzian und der Jüngere sind in die Gewohnheit dieser langen Spaziergänge hineingeschliddert. Ohne Absicht, auf beiden Seiten. Ist dies die Art, wie sich Nachfolge anbahnt? Keiner der beiden Männer ist ohne Argwohn. Aber es gibt das alte, lastende Schweigen nicht mehr zwischen ihnen. Keine Rivalität.
    "Es kommt als der Enthüller. Es zeigt, daß keine Gesellschaft schützen kann, es niemals konnte - sie sind so unsinnig wie Schilde aus Papier ..." Er muß Christian alles sagen, was er weiß, alles, was er vermutet oder selbst geträumt hat. Ohne davon etwas als die Wahrheit auszugeben. Aber er darf nichts für sich zurückbehalten. Nichts gibt es, das ihm allein gehörte, "sie haben uns belogen, sie können uns nicht vor dem Sterben bewahren, also belügen sie uns über den Tod. Ein kooperatives System von Lügen. Was haben sie uns jemals gegeben für das Vertrauen, für die Liebe - sie sprechen tatsächlich von -, die wir ihnen angeblich schulden? Können sie uns auch nur vor einem Schnupfen beschützen? Vor Läusen? Vor dem Alleinsein? Vor was auch immer? Ehe es die Rakete gab, hielten wir fest an diesem Glauben, weil wir uns festhalten wollten. Aber die Rakete kann alles durchdringen, an jedem beliebigen Punkt, vom Himmel herunter. Nirgends ist man mehr sicher. Wir können ihnen nicht mehr glauben. Nicht, wenn wir noch bei Sinnen sind, wenn wir die Wahrheit lieben."
    "Wir sind", nickt Christian, "wir lieben sie." Doch er blickt Enzian nicht zur
    Bekräftigung an.
    "Ja."
    "Dann ... wenn der Glaube fehlt... "
    In einer Regennacht schlägt der Treck sein Lager auf einem verlassenen Forschungsgelände auf, wo die Deutschen, kurz vor dem Kriegsende, einen akustischen Todesspiegel zu entwickeln versuchten. Hohe Paraboloide aus Beton sind in versetzter Linie, weiß und monolithisch, über die Ebene verteilt. Die Idee war, vor dem Paraboloiden, genau im Brennpunkt, eine Explosion zu zünden, deren Schall von dem Betonspiegel zu einer perfekten Stoßwelle gebündelt und zurückgeworfen wurde, die alles, was ihr in den Weg kam, zerstören sollte. Tausende von Versuchskaninchen, Hunde und Kühe, sind hier im Experiment zerfetzt worden - Stapel von Papier voll Todesdiagrammen wurden zusammengetragen. Aber die Sache war ein Reinfall. Wirtschaftlich nur auf kürzeste Distanzen, dann fiel der Wirkungsgrad so stark ab, daß es vernünftiger gewesen wäre, den Sprengstoff direkt einzusetzen. Nebel, Wind, kaum sichtbare Unebenheiten im Gelände, Baumstümpfe, alles, was auch nur im geringsten von den Idealbedingungen des Versuchs abwich, reichte aus, um die tödliche Bündelung der Stoßwelle zu zerstreuen. Dennoch kann sich Enzian einen passenden Krieg und Schauplatz für die Spiegel vorstellen, "eine Wüste. Lock deinen Feind in eine Wüste! Die Kalahari. Und warte, bis der Wind sich legt."
    "Wer würde um eine Wüste kämpfen?" fragt Katje. Sie trägt einen grünen Anorak mit Kapuze, der aussieht, als sei er selbst für Enzian zu groß.
    "In", Christian hockt sich nieder und blickt in die bleiche Hohlkehle des Reflektors hinauf, unter dem sie sich vor dem Regen unterstellen, sich eine Zigarette teilen, ein paar Minuten abseits des Lagers genießen, "nicht . Was er gesagt hat, war einer Wüste."
    Spart später Ärger, wenn man die Texte klarkriegt, sobald sie gesprochen werden.

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