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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Sturz. Er muß den Schluß ziehen, daß sie insgeheim die Wandlung fürchtet, sich darauf beschränkt, trivial nur das zu ändern, worauf es am wenigsten ankommt, Ornament und Kleidung, ein diplomatischer Transvestitismus im besten Falle, nicht nur, wenn sie Gottfrieds Sachen trägt, sondern selbst dann, wenn sie die traditionelle Uniform des Masochisten anlegt, das Kleidchen des französischen Stubenmädchens, das so wenig zu ihrer hochgewachsenen, langbeinigen Erscheinung, ihrer Blondheit, ihren flügelhaft ausgreifenden Schultern paßt - sie spielt nur damit... spielt mit dem Spiel. Dagegen kann er nicht an. In diesem sterbenden Reich, wo Befehle zu papierner Impotenz zusammenfallen, braucht er sie, braucht sie und Gottfried, die ledernen Riemen und Peitschen, die so wirklich sind in seinen immer noch fühlenden Händen, braucht ihre Schreie, die roten Striemen auf den Hinterbacken des Knaben, die Münder, den Penis, die Finger und Zehen, auf die noch Verlaß ist in all diesem Winter ... Er kann es nicht erklären, aber tief im Herzen vertraut er der Mythe, vielleicht ihr allein noch, gerade ihr unter allen Märchen und Sagen, vertraut darauf, daß dieses verwunschene Haus im Wald ausgenommen bleibt, daß hier keine
    Bomben fallen können, es sei denn durch Verrat, es sei denn, Katje wäre tatsächlich eine englische Agentin und gäbe alles preis - aber er weiß, daß sie so etwas nicht tun kann: Es ist da ein Zauber, jenseits des knöchernen Klangs menschlicher Worte, der einen britischen Luftangriff ausschließt, ihn allein ausschließt unter allen Möglichkeiten, hinterrücks in den ehernen, letzten Sommer des Ofens gestoßen zu werden. Denn es wird sich erfüllen, sein Schicksal... nicht auf diese Weise - aber es wird... Und nicht einmal sein Schritt klingt aus dem tonlosen Los ... Von allen Gedichten Rilkes liebt er die Zehnte Elegie am meisten, fühlt jenes bittere Bier, das dem Trinkenden süß scheint, hinter seinen Augen und Nebenhöhlen prickeln, wenn er an diese Verse denkt ... der junge Tote, der seine Klage umarmt, sein letztes Bindeglied zum schon Verlorenen, und jetzt selbst ihre fast menschliche Berührung hinter sich zurückläßt, für immer, einsam dahinsteigend, endgültig einsam, immer höher hinauf in die Berge des Ur-Leids, über denen grausam fremdartige Sternbilder stehen ... Und nicht einmal sein Schritt klingt aus dem tonlosen Los... Das ist er, Blicero, der den Berg emporsteigt, seit beinahe zwanzig Jahren schon, seit Südwest, lange bevor er die Flamme des Reiches umarmte ... einsam. Welches Fleisch er der Hexe auch hinwarf, sie zu besänftigen, mit welchen prunkenden Insignien des Leides er der zauberkundigen Kannibalin auch huldigte, er blieb einsam, allein. Er kennt sie nicht einmal, diese Hexe, kann diesen Hunger nicht begreifen, der ihn/sie definiert, ist nur manchmal, in Augenblicken der Schwäche, verwundert, daß sie im selben Körper hausen soll wie er. Der Sportler und seine Gewandtheit, getrennte Präsenzen ... so jedenfalls hatte es Rauhandel erklärt ... wie viele Jahre liegt das zurück, wie tief im Frieden... Blicero hatte seinen jungen Freund beobachtet, in einer Bar, auf einer Straße, wie er (schon damals so blökend, so pathetisch zu einer Spielart von Ostfront verurteilt) in irgendeinem engen oder unbequemen Anzug, mit irgendwelchen dünnen Schuhen, in vollendeter Grazie auf die Bälle reagierte, die ihm Witzbolde, die ihn erkannten, aus dem Nirgendwo zuschössen - die todlosen Zerstreuungen! Dieser eine, improvisierte Tritt, der den Ball so unsagbar hoch, so perfekt parabolisch meilenweit durch die Luft schweben ließ, bis er genau zwischen den beiden schlanken phallischen Lichtsäulen des Ufa-Kinos in der Friedrichstraße landete ... das Kapfballspiel, das er häuserblockweit, stundenlang durchhalten konnte, die Fußarbeit, die so beredt war wie Poesie... Aber auf ihre Fragen konnte er nur den Kopf schütteln, wollte ein guter Junge sein und wußte doch nichts Rechtes zu sagen - "es, es... es passiert halt einfach... die Muskeln machen's" -dann, als ihm die Worte eines alten Trainers einfallen -, "es ist muskulär", er lächelt wunderschön, und schon ist er, durch diesen Akt nur, rekrutiert, Kanonenfutter, die bleiche Barbeleuchtung wirft ein Gittermuster über seinen kurzgeschorenen Schädel -"Reflexe sind es, ihr versteht? Nicht ich ... nur die Reflexe." Wann eigentlich, an welchem dieser Tage, setzte für Blicero die Wandlung ein, von Lust zu simpler Sorge,

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