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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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leidenschaftliches Verdämmern, das keine Wiederkehr verspricht, das die Regierungswagen an den Bordsteinkanten rosten läßt, die letzten Gesichter übertüncht, die aus den Läden in die Kälte stürzen, als ob endlich eine riesige Sirene zu heulen begonnen hätte, Licht, das aus zahllosen Straßen eisige, entvölkerte Kanäle macht und sich mit Londons Staren füllt, die zu Millionen auf dunstige Sockel, sich leerende Plätze und einen großen, kollektiven Schlaf herniedergehen. Auf den Radarschirmen bilden ihre Schwärme Ringe, konzentrische Ringe. Die Radarbeobachter nennen sie "Engel". "Er sucht dich heim", pafft Osbie auf seiner Amanitazigarette. "Ja", Pirats Blick gleitet an den Kanten seines Treibhauses entlang, gereizt vom Sonnenuntergang, "aber das ist das letzte, was ich glauben möchte. Die Verwandtschaft war schon schlimm genug ... " "Also, was hältst du von ihr?"
    "Es wird sie jemand gut gebrauchen können", zu welchem Schluß er gestern am Bahnhof Charing Cross gekommen ist, als sie zur "Weißen Visitation" abfuhr. "Eine unerwartete Dividende für diesen Jemand." "Weißt du eigentlich, was sie dort unten vorhaben?"
    Nur soviel, daß sie was auskochen, in dem ein Riesenkrake eine Rolle spielt. Aber Genaueres weiß hier in London niemand. Selbst bei der "Weißen Visitation" herrscht plötzlich ein großes Kommen und Gehen, dessen Grund im schwammig Ungewissen bleibt. Myron Grunton wird beobachtet, wie er Roger Mexico Blicke zuwirft, die alles andere als kameradschaftlich sind. Der Zuave ist zu seiner Einheit nach Nordafrika zurückgekehrt, zurück unter das Lothringerkreuz, nachdem alles, was ein Deutscher an seiner Schwärze unheimlich finden könnte, von keinem Geringeren als Gerhardt von Göll, dem ehemaligen Duzfreund und noch immer ebenbürtigen Kollegen von Pabst, Lang und Lubitsch, aus ihm herausgeschmeichelt und -gequält sowie auf Zelluloid gebannt worden ist - demselben von Göll, der in jüngerer Zeit mehr im Zusammenhang mit den Affären diverser Exilregierungen, Kursstürzen auf dem Devisenmarkt und dem phönixartigen Entstehen eines erstaunlichen Netzwerks von Handelsbeziehungen von sich reden gemacht hat, die quer über den umkämpften Kontinent florieren, obwohl überall die Kugeln durch die Straßen pfeifen, Feuerstürme die Atemluft in den Himmel saugen und Kunden erstickt zu Boden sinken wie Wanzen unter der Flitspritze ... doch der Kommerz hat von Gölls künstlerische Pranke beileibe nicht zu lahmen vermocht: er ist in diesen Tagen sensibler denn zuvor. Auf den ersten Arbeitskopien sieht man den schwarzen Mann in SS-Uniform zwischen den aus Sperrholz und Leinwand gefertigten Attrappen der Rakete und des Meillerwagens umherstolzieren, immer durch die Bäume oder bei Schneefall aufgenommen, aus Bildwinkeln und Entfernungen, die den englischen Drehort nicht verraten. Der Rest der Mannschaft, Mr. Pointsman, Mexico, Edwin Treacle, Rollo Groast und Aaron Throwster, der ARF-eigene Neurochirurg, hat sich den Spaß gemacht, mit plausibel dunkelbraun gefärbten Gesichtern die übrigen Raketenmänner des fiktiven Schwarzkommandos zu verkörpern, und obwohl seine Rolle stumm ist, wirkt auch Myron Grunton mit, schattenhafter Statist wie die anderen. Der fertige Streifen läuft 3 Minuten, 25 Sekunden und besteht aus zwölf Einstellungen. Man wird ihn künstlich altern, von Bakterien anfressen lassen, an einigen Stellen der Schichtseite blankscheuern und dann nach Holland schaffen, wo er zu den Resten einer getürkten Raketenfeuerstellung im Rijkswijkschen Bosch gehören wird. Der holländische Untergrund wird einen Überfall auf den Platz inszenieren, ein furchtbares Durcheinander anrichten, Reifenspuren legen und alle Anzeichen eines überstürzten Aufbruchs hinterlassen. Das Innere eines Wehrmachts-Lkws wird von Molotowcocktails verwüstet sein: Zwischen
    Aschenstaub, versengten Kleidungsstücken, rußigen und schon angeschmolzenen Geneverflaschen werden sich Fetzen von sorgsam gefälschten SchwarzkommandoDokumenten und eine Spule finden, auf der nur noch 3 Minuten, 25 Sekunden Film erhalten sind. Von Göll erklärt sie mit eherner Miene zu seinem größten Werk. "Und in der Tat", schreibt der bekannte Filmkritiker Mitchell Prettyplace, "kann man dieser Selbsteinschätzung, so wie die Dinge sich entwickeln sollten, nicht viel entgegenhalten - wenn auch aus ganz anderen Gründen, als von Göll sie damals gehabt oder selbst, aus seiner subjektiven Sicht, vorhergesehen haben mag." In der "Weißen

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