Die Enden der Parabel
Visitation" gibt es, auf Grund der Finanzmisere, nur einen einzigen Filmprojektor. Jeden Tag betritt um die Mittagsstunde, sobald die Leute von der Operation Schwarzer Flügel sich an ihren falschen afrikanischen Raketenschützen sattgesehen haben, Webley Silvernail den Raum, um den Projektor durch die eiskalten, schrundigen Holzkorridore in den ARF-Flügel zurückzuschleppen, wo im innersten Gemach der Krake Grigori mürrisch in seinem Becken vor sich hin blubbert. In den anderen Zimmern heulen die Hunde, jaulen schrill vor Schmerz, winseln nach einem Stimulus, der nicht kommt und nicht mehr kommen wird, und der Schnee wirbelt unsichtbare Tätowiernadeln gegen das fühllose Fensterglas hinter den grünen Rollos. Der Film ist eingefädelt, das Licht gelöscht, Grigoris Aufmerksamkeit richtet sich auf die Leinwand, wo schon ein Bild marschiert. Lautlos folgt ihr die Kamera, während sie langbeinig und planvoll ziellos durch die Räume schlendert, die breiten Schultern, die an eine Halbwüchsige denken lassen, auswärts gereckt,
das blonde Haar zu einer modischen Hochfrisur getürmt, die, so gar nicht niederländischbieder, von einem alten, blinden Silberdiadem gehalten wird ...
[1.15] Ein Gin Marshmallow
Es war sehr früh am Morgen. Er stolperte aus dem Tor und stand auf einer regennassen Ziegelstraße, allein. Im Süden leuchteten die Sperrballone, Wellenreiter auf den Brechern des Morgens, rosa und perlmuttfarben im Licht der aufgehenden Sonne.
Sie haben Slothrop laufen lassen, die Straße hat ihn wieder, Scheiße, es war seine letzte Chance auf einen Jagdschein, und er hat's verpatzt...
Warum haben sie ihn nicht so lange auf dieser Irrenstation behalten, wie sie gesagt hatten? Sollte das nicht ein paar Wochen dauern? Keine Erklärungen - nur "Cheerio!" und dieser Durchschlag auf Florpost, der Marschbefehl zurück zu ACHTUNG. Der Kenosha Kid und Crouchfield, der Westwärtsmann samt Spezi Whappo, sie waren seine ganze Welt in den vergangenen Tagen ... da gab es immer noch genug Probleme aufzudröseln, Abenteuer, die noch nicht abgeschlossen waren, Gelegenheiten, auf den Putz zu hauen und große Coups zu landen, so vom Kaliber des Kuhhandels, mit dem die alte Frau ihr Schwein ins trockene brachte ... Doch schon, brutal, ist wieder dieses London da.
Irgendwas ist aber anders ... irgend etwas ... hat sich verändert ... will ja nicht meckern, Leute, abernun, zum Beispiel, er könnte beinahe schwören, daß er verfolgt wird, oder jedenfalls überwacht. Manche von seinen Anhängseln sind ganz gerissen, aber anderen kommt er auf die Schliche. Gestern bei Woolworth zum Beispiel, Weihnachtseinkäufe, hat er in der Spielwarenabteilung, hinter einem Haufen von Kinderkarabinern und Jagdfliegern aus Balsa, ein Paar von ganz gewissen Augen glänzen sehen. Ein hartnäckiger Verdacht gegenüber dem, was sich im Rückspiegel seines Humber zeigt, keine bestimmte Farbe, kein Modell, auf das er sich festlegen würde, aber immer irgendein Etwas in dem kleinen Rahmen, veranlaßt ihn, es mit den Vorfahrtsregeln bei seinen morgendlichen Dienstfahrten nicht mehr allzu genau zu nehmen. Auf seinem Schreibtisch bei ACHTUNG scheinen die Dinge nicht mehr an ihrem gewohnten Platz zu liegen. Mädchen haben plötzlich Ausreden, um die Dates mit ihm nicht einhalten zu müssen. Er hat das Gefühl, unmerklich von dem Leben isoliert zu werden, das er vor seinem Aufenthalt im Spital zur Hl. Veronika führte. Sogar im Kino sitzt ständig jemand hinter ihm, der darauf achtet, nicht zu sprechen, nicht mit Papier zu rascheln und nicht zu laut zu lachen: Slothrop ist zu oft im Kino gewesen, um solche Anomalien nicht sofort zu registrieren. Sein winziges Büro in der Nähe des Grosvenor Square kommt ihm mehr und mehr wie eine Falle vor. Er verbringt jetzt oft den ganzen Tag damit, durchs East End zu streifen, den Faulgestank des Themseufers zu atmen und sich in Winkel zu verkriechen, in die Verfolger ihm nicht folgen können.
Eines Tages, als er gerade in eine schmale Gasse einbiegt, an deren alten Ziegelmauern sich links und rechts Fischhändler drängen, hört er seinen Namen rufen - und holla! ist es die Möglichkeit, was kommt da, blond, mit offenem Haar, das wie ein Warnsignal im Wind flattert, auf weißen Wedgies über das Kopfsteinpflaster geklappert, was für'n zauberhafter Wonneproppen in Krankenschwesteruniform, wie heißt sie gleich, äh, äh, ah ja: Darlene! Gottie, es ist Darlene! Die im Veronika-Spital arbeitet und ganz in der Nähe
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