Die Enden der Parabel
bei einer Mrs. Quoad wohnt, einer Lady, die vor langem schon verwitwet ist und seither an einer Reihe von völlig antiquierten Krankheiten leidet, Bleichsucht und Blasenflechte, Frostbeulen, Gangräne, Purpura, Abszessen, Ohrpolypen und als neuester Errungenschaft einem Anflug von Skorbut. Aus dem Grund ist Darlene auch unterwegs, Limonen zu besorgen, die nun aus ihrem Strohkorb hüpfen und gelbgrün über die Straße kollern, während die kleine Darlene mit ihrem Schwesternhäubchen angelaufen kommt, ihre Brüste weiche Fender für diese Kollision im grauen Meer der Stadt.
"Du bist zurückgekommen! Oh, Tyrone, du bist zurück!" Ein paar Tränen, beide knien und klauben Zitrusfrüchte auf, das gestärkte Khakikleid knistert, und selbst aus Slothrops keineswegs unsentimentaler Nase dringt ein verdächtiges Schnüffeln. "Ja, ich bin's, mein Schatz ..."
Reifenspuren im Matsch sind zu Perlmutt geworden, schmelzendem Perlmutt. Möwen kreuzen langsam gegen die hohen, fensterlosen Ziegelmauern des Bezirks. Mrs. Quoad wohnt drei dunkle Treppen hoch, mit Blick, durchs Küchenfenster, an bestimmten, dunstigen Nachmittagen, auf die entfernte Kuppel von St. Paul's. Winzig sitzt sie im Wohnzimmer in einem rosa Plüschfauteuil neben dem Radio, lauscht den Klängen von Primo Scalas Akkordeonkapelle und sieht keineswegs krank aus. Aber auf dem Tisch liegt ihr zerknülltes Chiffontaschentuch: fiedrige Blutflecken ziehen sich wie ein Rankenmuster in seine Falten hinein.
"Sie waren doch damals hier, als ich dieses gräßliche Quotidiansfieber hatte", erinnert sie sich an Slothrop, "an dem Tag, als wir den Wermuttee brauten", sicher, sicher, schon ist der Geschmack da, steigt durch die Schuhsohlen in ihn auf, bringt ihn zurück. Sie fügen sich wieder zusammen ... es muß außerhalb seines Gedächtnisses sein ... das kühle, saubere Zimmer, das Mädchen und die Frau, die unabhängig war von seiner Sternchen-Kurzschrift ... es sind so viele, verblassende Mädchengesichter, zugige Kanalufer, Wohnschlafzimmer, Bushaltestellenküsse, wie sollte er sich an all das erinnern können? Doch dieser Raum wird immer deutlicher: als etwas, in dem ein Stück von ihm, wer er auch damals war, freundlich geruht hat, monatelang schweigend außerhalb seines Gedächtnisses bewahrt, verteilt an körnige Schatten, küchendunstbeschlagene Gläser mit Krautern, Bonbons, Gewürzen, sämtliche Compton-Mackenzie-Romane auf einem Bücherbord, glasige Ambrotypien von Austin, dem toten Ehemann, zu Nacht verstaubt in vergoldeten Rahmen
oben auf dem Kaminsims, wo letztesmal die Heidekrautastern aus der kleinen Sevres-Vase blinzelten und neckten, die sie und Austin an einem lang vergangenen
Samstag gemeinsam in einem Antiquitätenladen in der Wardour Street entdeckt hatten ...
"Er war meine ganze Gesundheit", pflegt sie oft zu sagen. "Seit er von mir gegangen ist, mußte ich eine regelrechte Hexe werden, aus reiner Selbstverteidigung." Aus der Küche dringt der Geruch frisch aufgeschnittener und gepreßter Limonen. Darlene kommt und geht, sucht nach diversen Heilkräutern, fragt, wo das Seihtuch steckt, "Tyrone, hilfst du mal runterheben, nein, weiter, das hohe Einmachglas, dank dir, Schatz", und zurück in die Küche, ein rosa Huscher, knisternde Stärke. "Ich bin hier die einzige, die noch über ein Gedächtnis verfügt", seufzt Mrs. Quoad, "wir ergänzen einander, verstehn Sie." Hinter einem tarnenden Kretonnedeckchen bringt sie eine große Schale voller Geleefrüchte zum Vorschein. "Hier bitte", strahlend, "greifen Sie zu! Wine Jellies, Vorkriegsware!"
"Jetzt kann ich mich genau an Sie erinnern - der heiße Draht zum Markenamt!" Aber er weiß, noch vom letztenmal, daß ihm Galanterie jetzt nicht mehr helfen kann. Damals hatte er nach Hause an Nalline geschrieben: "Die Engländer sind irgendwie seltsam veranlagt, Mom, wenn es darum geht, wie etwas schmeckt. Sie sind nicht so wie wir. Vielleicht liegt das am Klima. Sie stehen auf Sachen, von denen wir nicht einmal träumen würden. Junge, Junge, manchmal dreht's einem richtig den Magen um. Neulich hab ich eins von den Dingern probiert, die sie nennen. Das ist die Vorstellung, die sie hierzulande von Süßigkeiten haben, Mom! Man müßte 'ne Möglichkeit finden, diesem Hitler ein paar davon zu verfüttern, dann wäre der Krieg morgen vorbei!" Und nun steht er also wieder vor diesen rötlichtödlichen Gelatinedingern und nickt Mrs. Quoad, er hofft, verbindlich, zu. Auf den Bonbons stehen in flachem Relief die
Weitere Kostenlose Bücher