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Die Enden der Welt

Die Enden der Welt

Titel: Die Enden der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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apokalyptische Reiter der Langeweile am wolkenlosen Himmel heraufzieht und in den Großküchen die Magen-Darm-Verstimmung zu tausendfachem Leben erweckt wird, schleicht sich der Tourist hinaus, um sich ein Souvenir zuzulegen, das ihn an nichts erinnern wird als an den Kauf dieses einen Souvenirs, ein Schiffchen mit dem Namenszug des Käufers, eine Flickenpuppe in Nationaltracht, ein plüschgeborenes Berberäffchen oder ein aufziehbarer Torero, der sich über den Boden bewegt wie die wandelnde Darmträgheit. Ja, Gibraltar ist ein Ort, an dem die Souvenirs an sich selbst erinnern oder an die missglückten Versuche zu verschwinden.
    Im strahlenden Mittagslicht stehen wir also wirklich auf dem legendären Felsen, blicken auf den bloß ein paar Kilometer entfernten Streifen Afrika, in das Jenseits des Nonplusultra, und empfinden unsere Freiheit. Der antike Mensch durfte sich hier nicht weiterwagen. Eine Grenze wurde gezogen, ein Verbot aufgerichtet vor dem fast sündhaften Begehren, das Unbetretene zu betreten. Mehr noch, eine Warnung wurde ausgesprochen vor dem kühnen Ehrgeiz, das begleitende Risiko schultern zu wollen. Immerhin konnten ja jenseits dieser Grenze ungeahnte Kategorien des Gefährlichen liegen.
    In diesem Augenblick fühlte es sich an, als käme meine Reise, die in Tokio ihren Ausgang genommen hatte, an ihr Ziel. Doch dieses hatte sich gewandelt, nicht unähnlich jener Veränderung, die auch das historische Reisen erfahren hat: Ehemals wurde die Neugierde charakterisiert durch den zwecklosen Erkenntniswillen, den Drang, einer Witterung zu folgen, ohne recht zu wissen, wovon er geleitet wird. Es war die souveräne Bewegung des Fragenden. Souverän war sie, erlaubte sie doch selbst das In-die-Irre-Gehen dieses Fragenden. Gerade an dieser Grenze zur verbotenen, zur unbekannten Welt muss sich also die Wissbegierde stimuliert haben. Der Reisende muss neben allen anderen Gefahren auch die Skepsis gegenüber der Anhäufung des Nutzlosen überwinden. Die Neugier findet ja immer auch dies. Vom eigenen Ich muss sie sich ab-, der Welt muss sie sich zuwenden und weiß nicht einmal, was sie finden wird. Trotzdem kann es geschehen, dass sie schließlich den Horizont erweitert, so wie Seefahrt und Astronomie es vorgemacht haben.
    Ich erinnerte mich, auf dem Titelblatt einer Schrift von Francis Bacon das Schiff des Odysseus hinter den Säulen des Herakles gesehen zu haben. Odysseus, der bei Dante auf der untersten Stufe des Infernos zu finden ist und als Einziger nicht bereut, kreuzt als Symbolfigur der Neugier jenseits der Grenzen der bekannten Welt.
    »Faszinierend, oder?«
    »Aber damit ist die Grenze des Nonplusultra doch schon überwunden«, widersprach Christa.
    »Genau, und deshalb lautete die Devise von Karl V. auch Plus ultra! Und das, seit klar war, dass das Nonplusultra eben nicht das Ende der geographischen Welt bedeutete. Also: Plus ultra!«, rief ich noch und schnalzte mit der Zunge.
    »Dann ist dies jetzt der richtige Augenblick, dir zu sagen, dass ich hier umkehren werde«, antwortete sie und betrachtete mein verblüfftes Gesicht wie ein Exponat.
    »Hat sich deine Neugier erschöpft?«
    »Du hast sie erschöpft. Aber nimm’s nicht persönlich.«
    Stunden später nahm sie den Zug nach Madrid, wo sie bei Freunden übernachten konnte. Ich brachte sie zum Gleis, wo wir uns zum Abschied tapfer auf den Mund küssten, um nicht zu gutmütig zu enden. Am nächsten Tag ließ ich die Säulen des Herakles hinter mir, erreichte Tanger und betrat ganz allein die jenseitige Welt. Aber erst, als im Aufzug des Hotels Julio Iglesias zu singen anfing, spürte ich eine Traurigkeit aufsteigen. Es gibt kein Nonplusultra. Man kann die bekannte Welt nicht verlassen.

Der Himalaja
    Im Nebel des Prithvi Highway
    Heute waren die Wolken eine Sehenswürdigkeit, nicht geringer als die Berge. Von ihrem Anblick ruhte ich mich im Hotel aus, bis ich hungrig wurde. Da war es vier Uhr früh, alles schlief, und ich tappte durch die Gänge. Um halb sieben fiel mir eine Frau aus dem Aufzug entgegen, betäubt von Insektenspray. Ich hielt sie kurz im Arm. Glücklich fühlten wir uns in diesem Augenblick offenbar nur, weil das Insektenspray so stark war.
    Dann die kleine Betriebsamkeit des frühen Morgens: das Plätschern des Wassers, der Strich des Reisigbesens auf dem Pflaster, das Ratschen der Rabenvögel, das Geräusch schlurfender Flipflops auf dem Stein. Der Alte, der vor sich hin monologisiert, die Sangeslust der Vögel in den Hecken. Der

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