Die Enden der Welt
Hotelier tritt in den Garten und mustert seinen Besitz. Er sieht den Gast im Hof seinen Kaffee trinken. Vor die Wahl gestellt, zu schweigen oder einen sinnlosen kleinen Morgendialog zu eröffnen, entscheidet er sich, einen sinnlosen kleinen Morgendialog zu eröffnen:
»How are you today?«
Die Wahrheit ist: Der Klimakasten pustete einen feucht-schwülen Hauch über das Bett, und das mit einem Vibrationslärm, als wolle sich die Verkleidung lösen. Das Licht funzelte. Das Bett war mit einem zweimal gebrochenen Brett unterlegt, der Bettbezug mit einer Lumpensammlung gefüllt. Ungewaschen wie es war, zog allein das synthetische Laken Mücken in Schwärmen an. An Schlaf war nicht zu denken gewesen.
»Thank you, fine.«
Kathmandu wartet im Rücken des Himalaja. Diese Stadt empfängt ihre Aura nicht primär aus dem eigenen Innern, sondern aus der Präsenz der Berge ringsum. Sie ist Stadt im Schatten, eine Versammlung von der Natur geduldeter Behausungen, so provisorisch wie kultisch, allzeit in die Gegenwart eines Höheren blickend: provisorisch, denn was ist ihre Architektur gegen die der Felsmassive, kultisch, ist die Macht der Natur doch omnipräsent als sinnliche wie als religiöse Größe. Die Ziegelbauten sind von Bambusgerüsten umgeben, mit Treppen vor den Außenfassaden. Alles ist schichtig, doppelbödig, hat einen Raum hinter dem Raum, staffelt sich ins Verborgene, Heimliche. Hinter den Gittern Blicke. In den Blicken Fragen, brütend über der in Staub gehüllten Straße.
Die Fassaden schwitzen diesen Staub aus wie das Exsudat des überhitzten Erdkörpers. Die Menschen strömen aus den Dörfern in diese Mauern. Vertreter von fünfzig zum Teil aussterbenden Ethnien kommen hierher, um zu leben. Sie führen Affen mit sich und auf dem Handkarren Stoffballen. Sie bieten Schmalzgebäck und verschimmelte Getränke an, lauter Spezialitäten ihrer Heimatregionen, und lehnen an den rostigen Gerüststangen, die Frauen mit olivfarbenem Teint, schwarzen Muttermalen, farbsatten Saris. Auf Krücken feilscht die Bettlerin um mehr Geld. Hinter den Gittern der Fenster tauchen Gesichter auf und ab, stumme Zeugen überall.
Das Herz der Stadt ist eine Tempelanlage, die sich durch das gesamte Zentrum zieht. Der muffige Geruch aus dem Flügelschlagen der Tauben ist in der Luft, es riecht wie staubiger Pelz. Manchmal klingt ein Schellenschlagen, ein Glöckchen durch den Dunst wie zum memento mori. Dann das Schlurfen der Frauen in Flipflops, das Psalmodieren und Murmeln.
Die Dachstützen ragen bleich über die Straße, die geschnitzten Knochen der Häuser. Dies könnte ein Musterdorf, ein Film-Set, ein Freilichtmuseum sein, ist aber Lebensraum: Man wohnt in den Tempeln und breitet zwischen ihnen Märkte aus. Die Wahrsager sitzen hier, die Bettler. In der Eimerkette am schwankenden Bambusgerüst werfen Arbeiter Knödel aus einem Lehm-Elefantendung-Gemisch aufwärts, wo sie dazu dienen, die Schindeln zu verkleben. Ein Mann sitzt am Fuß des Gerüsts und bläst auf einer Flöte, ein anderer sieht von hinter dem vergitterten Fenster unbewegt zu, der Liebende im Grillenkäfig. Überall Häuser im Werden, überladen und verwinkelt, als sei Neuschwanstein gemeint mit diesen Spitzendeckchen aus Giebeln, Säulen, Erkern, Friesen, Gittern, Lünetten und Verzierungen.
Der Charakter eines Landes ist auch darstellbar am Verhältnis zum Heimlichen: im Prunk, im Kult, im Architektonischen wie im Verhältnis unter den Menschen. Auch in die dunklen Blicke der Frauen, der goldgeschmückten, tauche ich nur Zentimeter tief. Dahinter verdunkelt sich alles. Nein, ich verstehe nicht einmal die Anhaftung dieser Menschen hier an die Erde und ebenso wenig ihren Blick in den Himmel. Die schönen Greisinnen in ihren Überwürfen rotzen den roten Saft der Betelnüsse auf den Boden – bloß eine Farbe mehr –, und die Bettler klappern mit ihren leeren Blechnäpfen wie zum Existenzbeweis des Hungers.
Gleich beim Tempel für den weißen Regengott wurden schon Hunderte von bunten Plastikkanistern aufgestellt: So bald erwartet man ihn bereits, den Monsun, den lange ausgebliebenen. Schon einmal hat vor ein paar Wochen die Regenzeit eingesetzt. Die Bauern kauften schleunigst Saatgut zu saftigen Preisen, so groß war die Nachfrage, sie bestellten die Felder und mussten dann zusehen, wie alles verdorrte, als sich der Monsun launisch abwandte. Nun fehlt nicht wenigen Bauern das Geld für die zweite Aussaat.
Die Schwüle fängt sich zwischen den Mauern. Die
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