Die Enden der Welt
schließlich im Herzen der Finsternis angekommen. Doch auf der anderen Seite der Halle reisen im gleichen Augenblick ganz ähnliche Sessel wieder ab, gefertigt an den Straßen von Kinshasa. Die Packer stehen zwischen den Bändern, regeln diese Kreuzung des sinnlosen Warenverkehrs und folgen immer noch jedem Fernsehsessel mit einem Blick, lang genug, als könnten sie das ferne Wohnzimmer erkennen, in dem die Heimat dann nicht mehr als ein Sitzmöbel ist.
Ich war für einen Musiker in die Demokratische Republik Kongo, das ehemalige Zaire, gereist. Den wichtigsten Musiker des Landes wollte ich filmisch porträtieren, den Vater der urbanen, kosmopolitischen Jugend, die nachts auch in den Clubs von Kinshasa zu seiner Musik tanzt und davon träumt, wie er eines Tages nur noch aus dem Pariser Exil anzureisen: Papa Wemba, weniger als ein Leidensgefährte, mehr als ein Tourist, der Miterfinder des »Soukous«, jener panafrikanischen, auch »Rumba-Rock« genannten Musik, die in den siebziger Jahren von Kinshasa aus den ganzen Kontinent eroberte – die musikalische Sprache für das Selbstbewusstsein einer Jugend, die heute, ein paar Kriege weiter, keines mehr hat, nur noch die Musik.
Ich wollte wissen, was aus der Musik in diesen Zeiten geworden war, wollte sehen, wie der überlebensgroße Musiker in die Umlaufbahn des Krieges eintritt, hören, wie sich der Weltbotschafter des Afro-Pop zur Politik des Präsidenten stellte, er, der unter den Augen der musikalischen Weltöffentlichkeit reiste. Wie viel Freiheit würde der Unantastbare für sich in Anspruch nehmen, wie viel davon seiner Musik geben?
Der Himmel über dem Flughafen hängt tief und farblos, der Pulk der fliegenden Händler treibt mich auf einen Pick-up zu, an dem ganz blass der Freund lehnt, der mich seit zwei Tagen hier erwartet. Auf dem Weg hierher ist dem Kleinbus in einer Senke bei achtzig Stundenkilometern die Achse doppelt gebrochen, die Kamera hat vier Meter Luftweg durch den Wagen zurückgelegt, ehe sie eine Fleischwunde in den Beifahrer riss, der Freund und Kameramann hat ein Schädeltrauma, unser Bodyguard eine diffuse Rückenverletzung, der Fahrer ist auf und davon. Drei Tage später wird der Wagen noch an der Straße liegen, ausgeweidet.
Auf dem Hotelbett wenden wir den riesigen Körper unseres Bodyguards vorsichtig um, sein Ächzen wird lauter, und auch der Freund kann den Kopf jetzt kaum mehr bewegen. Sechs Stunden lang werden die beiden im Krankenhaus nebeneinander auf zwei Pritschen ihre Behandlung erwarten. Dann bekommt zumindest der eine diese elfenbeinfarbene Halskrause und darf gehen. Als man aber den Bodyguard ins tiefere Innere des Krankenhauses rollt, hat er schon drei Stunden geweint und manchmal geschrien, dieser Koloss von einem Mann. Wirbelbruch, vermuten die Ärzte.
Papa Wemba, der bekannteste Sänger des Landes, wartet zu dieser Zeit an der Bar des Hotels »Memling«, aber er wartet nicht, er residiert, richtet die gebückt Herantretenden auf, lässt sich Hände und Wangen küssen, die Zeitungen bringen, in denen seine Ankunft in der Stadt auf Seite eins gemeldet wird, und studiert die Cocktailkarte.
Als kleiner Junge begleitete er seine Mutter, eine »Pleureuse«, also professionelle Klagesängerin, auf Beerdigungen, lernte von ihr den hohen, melancholischen Ton, den süßen Schmelz der Intonation, den kein Gesangsunterricht je verdorben hat. Er kam in die Stadt, wurde Sänger der Gruppe »Zaiko Langa Langa« und stieg über mehrere Stationen in den Himmel der afrikanischen Popmusik auf. Indirekt war ihm der damalige Präsident Mobutu behilflich, der die »L’Authenticité« ausrief, also heimatliche Musik forderte, Kubanisches dagegen, Rock, westlichen Pop, R&B aus den Rundfunkstationen verbannte, Musiker verhaften ließ und eine Besinnung auf die nationalen Wurzeln postulierte. Da reicherte der National-Musiker Wemba das Volkstümliche mit Dancefloor-Elementen an und führte es zu einem Erfolg, der ihn selbst bald populärer als alle Präsidenten machen sollte.
Was er anfasste, wurde zu Erfolg. Im Westen merkte man auf, in Paris produzierte man seine Platten. Infolge einer von Kinshasa aus verständlichen optischen Täuschung sah man den Kongolesen Papa Wemba im ewigen Musikhimmel zur Rechten von Michael Jackson. Irgendwann ist es dann jemandem – wenn nicht ihm selbst – eingefallen, vom »magic touch« des Papa Wemba zu sprechen. Den Ausdruck hat er sich auf Autogrammkarten drucken lassen und genießt seither den Ruf
Weitere Kostenlose Bücher