Die Enden der Welt
und Dämon. Kann ihr geholfen werden? Nach hiesigem Glauben steigt der verlassene Körper durch seine Verbrennung am Fluss in die Oberwelt auf. Es ist alles gut. Die Hinterbliebenen bereiten dann noch ein letztes Essen zu in einer schönen, friedlichen Zeremonie. Warum verzweifeln? Selbst wer auf der Straße stirbt, dann aber anständig bestattet wird, hat gute Chancen, unter erfreulichen Bedingungen wiedergeboren zu werden.
Monika, die deutsche Gründerin von »Shanti Griha«, einer Hilfsorganisation für nepalesische Jugendliche, hat auch die Kehrseite dieses abgeklärten Umgangs mit dem Tod erlebt, etwa in Anbetracht der Probleme, die sich an einem Unfallort ergeben können. Die Schuldfrage ist hier oft am raschesten geklärt: Schuldig ist prinzipiell der Stärkere. Sucht der Unfallverursacher das Weite, sperren die Anlieger den Highway so lange, bis der Verantwortliche gefasst ist. Er zahlt für einen Toten nach zwar verhandelbaren, aber weitgehend feststehenden Tarifen.
Schwieriger wird der Fall bei den bloß angefahrenen, den versehrten Opfern. Sie haben Anspruch auf lebenslange Unterstützung und müssen ihre Blessuren zur Verbesserung der Verhandlungsposition theatralisch aufbereiten. Man hat sich also auf große Oper und langwierige Streitigkeiten gefasst zu machen, und trotzdem reicht es für die Zurückbleibenden am Ende oft kaum zum Leben.
Einmal war Monika auf dem Highway unterwegs und hielt bei einer Unfallstelle, wo ein Kind in seinem Blut lag. Schon hasteten die Anwohner die Straße auf und ab, den Schuldigen auszumachen, doch Monika drängte darauf, das Kind schleunigst ins Krankenhaus zu fahren. Unmöglich, wurde ihr bedeutet, solange nicht klar sei, wer für den Schaden aufkomme, und schließlich sei ja obendrein ungeklärt, wer in dem prekären Fall zahle, dass das Kind auf dem Weg zum Hospital doch noch von seinem Tod ereilt werde:
»Wer ist dann verantwortlich? Daran haben Sie wohl gar nicht gedacht!«
Manchmal liegt das Kind sterbend da, während die Unfallbeteiligten mit den Eltern über die Tarife verhandeln, und es ist auch schon vorgekommen, dass ein Lastwagen mutwillig zurücksetzte, um ein Opfer zum zweiten Mal zu überfahren, damit der Entschädigungsfall eindeutig sei.
»Wenn wir dich zum Essen einladen«, sagte ein Dabeistehender, »kommst du. Wenn Gott dich einlädt zum Sterben, hast du auch zu kommen.«
Monika arbeitet sich immer noch an solchen Überzeugungen ab, aber sie weiß auch: Dass Kinder auf die Welt kommen, haben sie in dieser Gegend der Erde häufig dem Wunsch nach Sicherheit, nach Versorgung zu verdanken.
Am nächsten Tag brechen wir auf in ihrem kleinen strapazierten Wagen und gewinnen in der Höhe die Perspektive über das Felsenmeer, das Profil des Himalaja, dem jäh aufragenden, dreieckig pyramidalen, fast gleichschenkligen Machapuchare, an seiner Seite der Annapurna und neben diesem der Höchste im Bunde, der Dhaulagiri. Mein Lieblingsberg aber – jeder muss sich hier rasch zu einem Lieblingsberg bekennen – ist der Ama Dablam, denn er hat ein Gesicht. Als Gott unter der Dusche stand, modellierte er diesen Fels aus Seife.
Wir folgen der Flusslandschaft durch die dichter bewaldeten Berge. Die Strömung kommt hier ockergelb, Reusenfischer stehen am Ufer, mit stumpfen Blicken die Flut absuchend, die Jungen waschen sich. Alle Gesichter haben Tendenzen: das nepalesische, so scheint es, kommt aus der Verfinsterung und schickt sich schnell an, in sie zurückzusinken.
Das also ist er, der gefürchtete Prithvi Highway, ein schmales Straßenband, das gewunden westwärts läuft, im Schatten der Himalaja-Kette, auf der einen Seite vom Steinschlag, auf der anderen vom Abgrund jenseits des weichen Straßenrands bedroht. Die gewaltigen Lastwagen tragen Namen wie Road King, Road Hero, Road Tiger, Night Sleeper, Broken Heart, Slum Star, ihre Stoßstangen zieren Aufschriften wie »Follow me«, »My Life is Journey«, »Slow Drive Long Life«, »Hey God – Save Me«. Ihre Fahrer blicken, entrückt in der Höhe des Führerhauses, grimmig in den Verkehr, sie sind die Stärksten, gewiss, aber bekanntlich immer auch die Schuldigen. Doch da die Maoisten seit Jahren abrupt die Straßen sperren – weil sie es können und so die Unfähigkeit der Regierung demonstrieren –, sind die Lastwagenfahrer in den Staus immer auch die letzte Hoffnung, kann man unter ihren Fahrzeugen doch wenigstens sicher übernachten, und gibt man einem Fahrer zwanzig Rupien, wird man von ihm
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