Die Enden der Welt
Untergang hat er sich gefunden als der Prophet dieses Untergangs, und er bleibt selbst dann noch Prophet, als die Katastrophe überstanden ist. Doch wer sagt, während das Leben die Pausentaste drückt, dass nicht schon das Unheil seine Kräfte bündelt und das nächste Desaster seine Truppen sammelt? Die Sonne scheint, die Lerchen steigen, die Seeluft atmet bloß als Brise. Mögen sich die Gegenden an den Enden der Welt auch sonst eher ratlos dem Verschwinden entgegenstrecken, hier ist es anders. Hier zerstreut sich die Landschaft in einer Idylle des Untergangs.
Timbuktu
Der Junge Indigo
Da liegt es, das Land der Sahara mit seinen Schorfschichten in Gelb, Hellrosa, Blutrot, die Siedlungen gepfercht, umzingelt von irgendeiner Natur, die aus den schütteren Wäldern, den flachen Bergen, den dürren Ebenen Gefahren schicken könnte, der Niger breit und mürrisch, in einem opulenten Becken von kleinen Inseln besetzt, briefmarkengroße Felder darauf. Dann die Sümpfe, dann weite Ebenen mit nichts, dann die Hütte von einem, der sich zurückgezogen hat – wovon, wohin? In die Quarantäne? Dann kleine Oasenorte mit Lehmbauten aus Adobeziegeln um einen gelben Tümpel. Ja, so trumpft sie auf, diese Übermacht an Landschaft, die nicht eigentlich schön, eher wie strapazierte Haut wirkt, wie ein interessant abgearbeitetes Gesicht.
Man wird hier keine moderne Physiognomie finden. Die Menschen haben die Züge vorzeitlicher Propheten oder Götzen, deren Augen hellgrau in einem wässrigen Hof liegen, und auch der Fluss ist nicht blau, nicht grün, sondern graugelb in seinem rissigen Uferstreifen aus Hornhaut. Die Felder staubig, die Hütten staubfarben, die Erdoberfläche abgewetzt, verschlissen, weil die Elemente hier alles abschmirgeln, die Sonne, der prasselnde Tropenregen, die Hitze, der Wüstenwind, die Sandstürme der heißen Monate. Mal stockt das Wasser in den Senken, mal wird es von der Sonne aufgesogen, so dass bloß verkrustete Ebenen zurückbleiben.
Der Kreislauf hat Tempo, ein abruptes Blühen, ein zügiges Welken zieht über die Senken des Wüstenbodens: Alles mäandert, die Rippen der Dünen, die Überlaufkanäle des Flusses, die Ackersäume, die hellen Sandbänke, die Straßen, alles in einer Farbskala auf der Basis von Schmutz.
Der Niger, ein Delta aus zahllosen Rinnsalen, Einzelläufen, Strömen, Kanälen und Seebecken wird immer neu zur Demarkationslinie zwischen Schwemmland und roter Wüste. Dann wieder schwindet sein Einfluss, und er trägt das Grün seiner Ufer allenfalls ein paar Meter weit ins Land. Orte wie Wüstenfriedhöfe liegen zu seinen Seiten. Sie erscheinen wie eine Irritation der Ordnung, ein Gekräusel, oder wie fossile Abdrücke im Sand. Der Flughafen von Timbuktu wird von fünf Soldaten mit dem Gewehr im Anschlag bewacht. Wir sollen geduckt, zu beiden Seiten militärisch flankiert, das Hauptgebäude erreichen.
Umgeben von einem Ring der Schmerzen ist Timbuktu, einem Ring der Hitze, der Entbehrungen, des Durstes, des Krieges, und dann ist da das Sterben von innen, das Verkommen, die Auszehrung mit ihren Symptomen: Fast erloschene Nomaden lagern in ihren Lumpen im Schatten der Lehmziegelwände, auf ärmlichen Märkten reihen sich die Bäuerinnen im Spalier, vor jeder von ihnen drei Früchte, drei Knollen, ein Bündel Gemüse. Draußen Lumpensammler, frei laufende Kranke und Verwirrte, Kriegsopfer auf selbstgemachten Krücken oder Wägelchen.
Doch hier, am legendären Ort, im Innern der Verwahrlosung, wird Indigo gewonnen. Als sei dieses Blau die Farbe des Blutes dieser Stadt, deren Menschen selbst blauhäutig wirken. Warum fliehen sie nicht? Anderswo wäre Wasser, Versorgung, Unterstützung, Schutz. Doch bis man dahin gelangt wäre, müsste man durch die Wüste, die Hitze, das Massaker, den Überfall, man müsste sich als lebende Beute durch ein Inferno retten.
Übermüdet straucheln wir in ein vom Frühlicht schmutzig durchspültes Hotelzimmer. Gedanken sind kaum mehr erreichbar. Bloß Auge, tasten wir die gekalkten Wände ab, die Tapeten, den Zimmerschmuck. Da hängt das Bild einer Bambushütte, und ein paar halbnackte Eingeborene kauern davor wie in einem rassistischen Film – eine Momentaufnahme, auf der niemand einen Weg in die Aufmerksamkeit der Welt sucht. Schaut, ein paar stehengebliebene Schwarze. Abgesehen davon gibt es keinen Schmuck.
Timbuktu, diese legendenumwobene Stadt in der Südsahara, gelegen auf dem Punkt, an dem sich Niger-Delta und Sahara berühren, war ein
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