Die Enden der Welt
Taxi-Syndikats, der unseren Versuch, privat nach Bobo Dioulasso zu gelangen, als »Betrug« bezeichnet. Er selbst feilscht um Tarife, die wir beim Syndikat nie bekommen würden, und schwächt seine Verhandlungsposition durch dauerndes Trinken. Bald ist er völlig betrunken und undiplomatisch.
Kaum ist es so weit, steht ein morgenländischer Teppichhändler vom Gebet auf, um uns vor dem verrückten Taxifahrer zu warnen.
»Sie sollten das Fahrgeld besser in einen Teppich investieren.«
Der fliegt zwar nicht, lässt sich aber ausrollen. Er wird ausgerollt. Der Nächste, ein Discjockey, hegt keine merkantilen Absichten, wie er bekennt, hat aber »Handelsvertreter« auf der Visitenkarte stehen. In seinem Gefolge dringen so nebenher diverse Anbieter von Tuareg-Schmuck, Postkarten, Trockenfrüchten in den Hof, alle deprimiert, weil so wenige Fremde da sind.
»Monsieur, moins cher«, »Monsieur, half price!«
Die westliche Trennung von Arbeit und Freizeit, Geldverdienen und Unterhaltung gilt hier nicht. Man breitet ein Tuch auf dem Gehweg aus und beugt sich darüber. Alle sind Familienmitglieder, alles sind Familiensachen. Spiele besprechen, Lachen, Tauschen, Touristen-Jagen, es ist alles eins, das Aufzwingen von Konversation, das Perlenfädeln, über dem man sich Geschichten erzählt. Es sind lauter Formen, einen Zustand gleichermaßen für die Arbeit und die Überwindung der Arbeit zu finden und innerhalb dessen einen anderen Zeitverbrauch zu bestimmen.
Afrika verlangt auch ein verändertes Verhältnis zum Raum: Es organisiert das Leben auf der Fläche und verlangt, dass man sich an einem Höcker in der Horizontlinie orientiert, an einer Senke, einem dürren Strauch, einer Ansiedlung. In den Büschen lärmen Kanarienvögel. Vor einem Rinnsal hocken ein paar Jungen, die mit einem toten Fisch an einem Faden etwas anderes, Größeres anlocken wollen. In dem schlammigen Weiher, in den der Bachlauf mündet, bringt ein bulliger Mittdreißiger einem winzigen weißen Mädchen Schwimmen und Tauchen bei. Ihr Vater sitzt am Ufer und malt die Bucht mit schreienden Acrylfarben. Zwei Automechaniker im Overall treten, die öligen Hände in einem Lumpen, hinter die Staffelei, um die Schmiererei auf der Leinwand zu beurteilen. Orange blühende Bäume säumen das Ufer, alternierend mit Hibiskus. Zwei Frauen schlagen mit Stöcken auf Kokosnüsse, als wollten sie sie züchtigen.
Der Weg, sich diese Wirklichkeit anzueignen, ist, in ihre Eintönigkeit einzutreten. Alles scheint ebenso vereinzelt wie aufgehoben im Zusammenklang schwerfälliger, synchroner Vorgänge, in denen abrupt nur die Kinder erscheinen, die aus dem Wasser tauchen mit diesen in der Angstlust panisch um ihr Überleben ringenden Augen.
Ich ging zum Niger, kniete nieder und streckte beide Hände ins Wasser, um es getan zu haben. Ein Alter saß abseits in der Hocke. Er schien zu verstehen, nickte und lächelte, und die Frauen, die am Boden Mais über dem Feuer rösteten, winkten mich heran und schenkten mir einen Kolben zur Feier des Augenblicks. Ihre Hütten sind mit Müll bedeckt, damit die Dächer nicht wegfliegen.
Vor einem Kaktus duckte sich in den Unrat ein Pelikan, der sich mit dem Schnabel die Brust putzte, neben ihm fraß die Ziege von einem Pappkarton, musste ihn aber gleich mit vier weiteren Jungtieren teilen. Ein Kind schleuderte einen Ziegenschädel an seinem Horn ins Wasser, und ein Mann in einem tief violetten Bubu erzählt mir mit dem winzigen Silberpfeifchen zwischen den ausgeleierten Lippen von seiner Geliebten und nennt sie »meine Neunte«.
Jetzt tritt auch der Junge mit seinem Kasten voller Musikkassetten wieder leise an den Tisch. Der Hotelier mit der Damenbrille beobachtet mich von ferne und will meine Schreiberei nicht stören. Die Kinder am Straßenrand grüßen, aber sie fordern nicht mehr.
Über einen Deich laufe ich zu einem Weiher hinunter, in dem drei Ochsen getränkt werden. Es gibt auch drei nackte Hünen, die hier hinabschreiten, doch sind sie nicht aus ethnischen, sondern aus sozialen Gründen nackt. Wenn ich als Kind in Illustrierten die Pseudoreportagen über die »Begattungsriten der Mursi« fand, wirkten diese Eingeborenen auf mich nie nackt, hatten sie doch immer noch ihre Hautfarbe an.
Wieder und wieder öffnet sich am Weg die Ebene, wo zwischen Baracken und Hütten Ziegen grasen. Ein Junge läuft an meiner Seite, einen zerbrochenen Eimer mit dem Stock über die Straße treibend. Bis hinunter zu einem Flussarm läuft er, wo
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