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Die Enden der Welt

Die Enden der Welt

Titel: Die Enden der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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erst das Mysterium der Gemäldegalerien entdeckt hatte, suchte ich das Meer im Blick von alten Malern, die nicht nachFotos, sondern ganz nach der Natur hatten arbeiten müssen, staunte zum Beispiel über die Seestücke van Goyens mit dem Staubglanz über dem Wasser und dem Talent, Himmel, Erde und den Spiegel der See ineinanderzumatschen, als wären sie aus einem Stoff, schwärmte in die unergründliche, heidnische Romantik von Claude Lorrains Landschaftsbildern hinein, wo die Täler tief wie nirgends und die Horizonte weit sind.
    Später habe ich mich mit dem Phänomen der Unähnlichkeit, des Betrugs an der Naturwahrheit, auch als Student beschäftigt und in Claude Lorrains »Aeneas und Dido in Karthago« eine Verlegenheit vor dem Meer gefunden, die von Respekt zeugt, von Hilflosigkeit, fast so, als habe der Maler vor der authentischen Widerspiegelung des Ozeans Angst gehabt, als habe er ihm nicht in die Augen sehen können. Da liegt der Ozean vor der Halbinsel von Tunis wie gewebt, eine Antiquität, an anderer Stelle schimmert er gläsern wie mit dem Mund geblasen.
    So wie jedes Feuer die Sonne spiegelt, so soll bei ihm wohl jeder Strom das Meer, jede Pfütze den Ozean zitieren, und wo auf den Bildern die Wasser fallen, setzen sie auch wirklich die Zerstörungskraft einer Brandung frei. Verweilt Lorrains Blick aber auf dem Meeresspiegel, so ist er ratlos, kann er ihn doch offenbar weder zur Bewegung noch zum Glänzen bringen. Selbst wo die Ruderblätter der Galeere ins Wasser tauchen, gibt es kein Spritzen, und rund um den Kiel schäumt allenfalls Sprühsahne. Da ist kein Anbranden am Ufer, kein Reflektieren des Himmels. Nein, bei manchem Stillleben-Maler steckt mehr Hochsee im Weinglas als bei Lorrain im ganzen Ozean.
    Warum setzt vor einer Nebelbank in der Voreifel, vor einem Ölgemälde von Claude Lorrain die Erinnerung an Birma ein? Dieses verrätselte Land war über viele Jahre von Fremden nur für eine Woche und nur an vier Orten bereisbar. Zu dieser Zeit war ich dort. Man durfte Rangun, Pagan, Mandalay und den Inle-See besuchen. Der Rest gehörte den wilden Tieren, den Pagoden, den Mönchen und dann und wann einem schneeweißen DDR -Funktionär, der sich durch den Dschungel sächselte, genossenschaftlich verbunden dem sozialistischen Bruderstaat. Jeder Ort, auf den man seinen Fuß setzte, war umgeben von verbotenen Stätten, Demarkationslinien zum Unbekannten und Unzugänglichen. Deshalb blickte man von jedem Fleck wie von einem Aussichtspunkt aus in die Terra incognita.
    An manchen Orten gibt es hier doppelt so viele Pagoden wie Einwohner. Man setzt sich hinten auf einen Ochsenkarren, schunkelt über das versteppte Weideland und hält im Abendrot vor einem dieser Prachtbauten, der aus einer goldenen Knospe auf dem Dach zu blühen beginnt. Drinnen klingelt es immerzu, und noch weit weg lispelt der hohe Glockenklang durch die Luft. In seinem schattigen Gewölbe aber sitzt derselbe Buddha gleich viermal da, damit er in alle Himmelsrichtungen gucken und segnen kann. Mönche dämmern vor seinem Schoß mit Räucherstäbchen, und vor ihrem eigenen Schoß türmt sich dann nur noch die Asche.
    Auch Wahrsager kauern in Buddhas Schatten:
    »Älter als achtzig Jahre werden? Nein, das ist leider unmöglich für Sie«, sagt er.
    Leider. Zum ersten Mal im Leben möchte ich 81  Jahre alt werden. Doch während ich noch mit meiner Lebenserwartung hadere, tunkt der Erleuchtete eine bittere, erdbeerförmige Frucht in Salz, und seine Augen sagen: »Heul doch!« Ich schenke ihm in einem Umschlag ein hauchdünnes Fähnchen Blattgold. Er verneigt sich. So ist es gut, nämlich »gottgefällig«.
    Stunden haben die Arbeiter in ihrem dunklen Koben so lange mit dem Vorschlaghammer auf einen Packen Papier geschlagen, bis aus dem Nugget im Innern dieser schimmernde Fetzen wurde. Der Wahrsager nimmt das Blättchen, klebt es murmelnd auf eine nur mannshohe Buddha-Statuette, die unter all dem Gold ihre Physiognomie eingebüßt hat, und jetzt schimmert nur noch die Kajallinie des Lidstrichs durch das Blattgold.
    »Leider«, sagt der Wahrsager noch einmal, »nicht über achtzig«, und dann noch: »Mit drei der vier Elemente werden Sie im Leben gut auskommen. Das Wasser aber wird nie Ihr Freund. Nie.«
    Leider. Ich werde mein Rettungsschwimmerzeugnis verbrennen, in dem mir freundlichen Feuer.
    »Alles, was Ihnen feindlich ist, nähert sich Ihnen aus südöstlicher Richtung.«
    »Und wenn ich mich drehe?«
    Solche Haarspalterei wird mir kaum

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