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Die Enden der Welt

Die Enden der Welt

Titel: Die Enden der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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nur um wenige Zentimeter. Kaiser und Hofstaat kehrten grollend nach Rom zurück.
    Die Arbeit wurde neuerlich aufgenommen. Als sie abgeschlossen war, konzipierte man noch größere Feste, neue Spiele. Gleich an der Einlassöffnung des Kanals bereitete man ein Gastmahl vor, wieder waren die Tribünen geschmückt, und Schalmeien-Instrumente zeterten den Triumph in die Welt. Dieses Mal aber strömte das Wasser, als die Schleusen geöffnet wurden, mit solcher Macht durch den sogenannten Emissär, dass die kaiserliche Tribüne fortgerissen wurde und Claudius, seine Frau Agrippina und ihr Sohn Nero fast in den Fluten umgekommen wären. Um ein Haar hätte der Fuciner See die Weltgeschichte verändert.
    Später haben die Kaiser Trajan und Hadrian den Abfluss erneut ausgebaut, und er tat seinen Dienst bis ins 6 . Jahrhundert hinein, solange er nicht verstopfte oder sein System von Barbaren zerstört wurde. Später hat sich das Fürstengeschlecht der Colonna, das hier residierte, haben sich Friedrich  II . und Alfons I. von Aragon immer wieder erfolglos daran versucht, den Emissär zu reinigen und den See auszutrocknen.
    Dies aber gelang erst im 19 . Jahrhundert dem auf eigene Rechnung arbeitenden Privatmann Alessandro Torlonia, der Architekten aus Frankreich und der Schweiz die alten Baupläne aus der Zeit des Claudius studieren ließ, um die damals gemachten Fehler zu korrigieren. Ab 1854 arbeitete man daran, indem man erst die tiefste Stelle des Sees ermittelte, dann den Kanal um drei Meter absenkte und schließlich den Eingang des Emissärs weiter östlich und näher zum See legte.
    Torlonia versammelte ein Heer von Sträflingen, Gelegenheitsarbeitern und auch Bauern aus der Gegend, um das Vorhaben zu vollenden. »Entweder ich lege den See trocken oder er mich«, sprach er. Zeitgenossen berichten, wie die Arbeiter hüfthoch im Schlamm gestanden hätten, finstere Gestalten, die wirkten, als führen sie in den Höllenschlund ein.
    21  Jahre später war die Arbeit abgeschlossen. Als Entgelt seiner Leistung nahm Torlonia das gewonnene Land für sich in Anspruch, teilte es in 497  Abschnitte zu je 24  Hektar und vergab es zu einem guten Teil an abruzzesische Bergbauern und Leute aus den benachbarten Provinzen, die plötzlich zu Großgrundbesitzern aufstiegen.
    Die Austrocknung des Sees hat die mittelitalienische Region gravierend verändert, und es ist kaum vorstellbar, welche Landschaft dort heute liegen könnte, oder, wie der Althistoriker Heinrich Nissen um die Wende zum 20 . Jahrhundert schrieb: Es sei unmöglich, dass sich jemand in die Naturschönheit dieses Landes versenken könne, »ohne die tiefen Wunden gewahr zu werden, die des Menschen Unverstand und Raubgier ihr geschlagen«. So ist es wohl auch nachvollziehbar, dass sich Ferdinand Gregorovius angesichts der Entwässerung des Lago Fucino um den Fortbestand auch des lieblichen Trasimenischen Sees zu sorgen begann: »Auch ihn wird man ins Meer spedieren, um Acker- und Weideland zu gewinnen, und wer weiß, welche neue mörderische Kapitalisten und Austrocknungsmenschen schon an seinen reizenden Ufern umherschleichen und die Kosten berechnen, mit denen diese wundervolle Dichtung der Natur in Industrieprosa umzuwandeln sei.«
    Tatsächlich ist das gewonnene Schwemmland in der Regel besonders fruchtbar, und wenn irgendwo, dann haben die Bauern hier durch Flurbereinigung, Wegebegradigung und den gemeinsamen Einsatz von Maschinen zu einer profitablen Form der Landwirtschaft gefunden. An den Hängen dagegen oder gar im Gebirgsland liegen die einzelnen Felder manchmal wie aufgedeckte Spielkarten in einer wüsten, von Buschwerk, Felsbrocken und einzelnen Bäumen durchsetzten Landschaft.
    Die typische Landschaftsformation dieser Zone ist ein schwach beflaumter Hügelrücken mit durchscheinendem Fels in der Höhe, Buschwerk, Geröllfeldern und Flecken von Nadelwald darunter, versetzt mit vereinzelt ausgeschnittenen Feldern, auf denen oft nur für den Familienbedarf angebaut wird, nicht selten weit weg vom Gehöft. Abwärts streckt sich dann das Silbergrau der Olivenhaine, in Fluss und Farbe den Geröllfeldern ähnlich, und in der Annäherung an das Tal immer häufiger begleitet von Weiden, bunten Feldern, feucht-schwarzen Ackerflächen, gesäumt von kräftigen Weiden und eingefassten Bachläufen. Im Tal schließlich wird die Landschaft vollends lieblich. Die Felder sind wie Intarsien miteinander verfugt, ihre Farbigkeit gewinnt an Intensität, und die Wege und Straßen

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