Die Enden der Welt
. Jahrhundert sollen insgesamt zwanzig Millionen Sklaven von Westafrika aus in die Neue Welt und nach Südamerika verkauft worden sein. Sie verschwanden auch in den Silberminen Mexikos und Perus, auf den Tabak- und Baumwollplantagen Nordamerikas, in den Zuckerrohrfeldern der Karibik. Die Holländer schickten sie in ihre Kolonien nach Surinam, Berbice und Guyana, die vorgelagerte Insel Curaçao entwickelte sich bald zum bedeutendsten Sklavenmarkt der Welt.
»Daheim in Gorée«, erklärte Greta, »waren die Sklaven unterdessen zur Währung geworden. Der Preis eines Hauses etwa wurde in Sklaven berechnet, ein gutes arabisches Reitpferd kostete derer zwölf bis fünfzehn. Allerdings waren Pferde in kriegerischen Zeiten sehr gefragt, und so wurden viele Sklaven nicht ins transatlantische Geschäft geschoben, sondern innerafrikanisch weitervermittelt.«
»War es lukrativ?«
»Und ob. Der Sklave war ein Wertgegenstand der Zeit. In Afrika konnte man ihn für etwas Branntwein und billige Tauschware im Wert von fünf Gulden erwerben, während sich in Südamerika gut das Zehnfache in Zucker erlösen ließ. Dieser wurde in Europa, wo Süßwaren nicht mehr allein eine Sache der oberen Stände waren, für ein Vielfaches verkauft. Er änderte hier die Speisegewohnheiten und verhalf nebenbei auch dem Beruf des Zahnarztes zur Blüte. Es dauerte nicht lange, und die europäischen Sklavenhandelsgesellschaften hielten sich sogar ihre eigenen Plantagen in Afrika.«
Inzwischen hält man es allerdings für möglich, dass ökonomisch in Gorée die Versorgung der Schiffe mit Lebensmitteln und Agrarprodukten eine größere Rolle spielte als die billigen Sklaven selbst. Doch auch auf dieser kleinen Festungsinsel gab es alles: Weiße Sklavenhändler, wohlhabende Afrikaner, die sich selbst am Sklavenhandel beteiligten, es gab sogar schon reiche Sklaven, die sich selbst Sklaven hielten, Jahrhunderte, bevor die ersten Europäer auf den Kontinent kamen. Viele der Sklaven traten damals eilig zum Islam über, weil eine Verordnung besagte, dass man einen Mohammedaner nicht versklaven dürfe. Wenn also heute etwa achtzig Prozent der Senegalesen und etwa fünfzig Prozent der Einwohner Afrikas Muslime sind, so verrät dies auch, wie tief und bleibend selbst die Religion dieser Gegend mit dem Sklavenhandel verbunden ist.
Wir näherten uns der Bucht von Gorée. Ihre Mole war ein umfriedeter Platz zum Anlanden, wenig mehr. Hier wurden ehemals auch die Schiffe für die große Fahrt instand gesetzt. Daneben entwickelte sich ein Verschiebeplatz für Gold, Straußenfedern, Kleidung, Wachs, und der angenehmen Verhältnisse wegen zogen selbst einige freigelassene Sklaven auf die Insel und lebten hier Auge in Auge mit ihren unfreien Brüdern und Schwestern.
Viele der Schiffe, die hier entladen und danach mit Sklaven beladen wurden, stammten aus Liverpool, der europäischen Hauptstadt des Sklavenhandels. Man tauschte hier Menschen gegen begehrte europäische Güter ein, Textilien, Eisenwaren, Werkzeuge, Glas und Waffen, lauter Dinge, die mit der Zeit entweder ihre Attraktivität oder ihr Prestige einbüßten, so dass diese Art des Handels schließlich zurückging. Andererseits gehörte es in manchen adligen Kreisen zum Renommee, einen Sklaven zu besitzen. Unvergessen auch die Wiener Dame der Mozart-Zeit, die ihren afrikanischen Ehemann nach seinem Tod ausstopfen und ins Museum stellen ließ – mit seinem Einverständnis.
»Unter den damals knapp dreitausend Bewohnern der Insel Gorée«, wollte ich von Greta wissen, »waren angeblich ein Viertel Mulatten. Warum?«
»Weißen Frauen war der Zugang zur Insel verwehrt. Die europäischen Herren dort suchten sich einheimische Gattinnen, von denen sie durch das Gesetz in dem Augenblick als geschieden galten, da diese starben oder sie selbst nach Europa heimkehrten. So blieben die Mulatten zurück, und die Mulattinnen vor allem wurden zu einflussreichen Vermittlern zwischen den Kulturen. Ihnen wurden eigene Häuser gebaut, und sie besaßen nicht selten selbst wieder Sklaven.«
Und so landeten wir also auf einem geschichtlich schwer belasteten Boden, setzten unseren Fuß auf das sonnenwarme Kopfsteinpflaster, dem nur die Bougainville-Büsche, die Palmen und Affenbrotbäume Schatten spendeten, und auf den von Säulen gestützten Veranden lagen wirklich in Liegestühlen Mulattinnen, hatten die rote Bougainvillea hinter dem Ohr und die Augen über den Dekolletés geschlossen. Das ist Pierre Loti, das ist
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